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Prävention, Rehabilitation, Integration

Zum Eingliederungsmanagement eingeladen – und jetzt?

Wenn die Personalabteilung wegen vieler Krankheitstage zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement bittet, bekommt manch Mitarbeiter einen Schreck. Was es mit dem BEM auf sich hat, erklärt Cornelia Rose, Expertin für Arbeits- und Gesundheitsschutz.

In welchen Fällen greift das Betriebliche Eingliederungsmanagement?

Cornelia Rose: Grundsätzlich sind alle Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, ein BEM anzubieten. Diese Pflicht gilt gegenüber Mitarbeitenden, die innerhalb eines Jahres mehr als 42 Tage erkrankt sind – unabhängig davon, ob es sich um eine einzelne lange Krankmeldung oder mehrere kurze Ausfallzeiten, beispielsweise dreimal 14 Tage, handelt. Wenn der Mitarbeitende insgesamt mehr als sechs Wochen gefehlt hat, muss er angeschrieben und zu einem BEM eingeladen werden.

Eine Einladung, die auch verunsichern kann?

Im ersten Moment herrscht schon oft eine Schockstarre. Ein Schreiben des Arbeitgebers löst bei vielen ja zunächst Ängste aus. Sie fragen sich: Was kommt jetzt auf mich zu, ist die Klinik mit meiner Arbeitsleistung nicht zufrieden, droht mir die Kündigung? Umso wichtiger ist es, in der Einladung auch die Wertschätzung für den Mitarbeitenden zum Ausdruck zu bringen. Wir weisen zudem darauf hin, dass wir aus rechtlichen Gründen ein BEM vorschlagen müssen, dass aber die Teilnahme freiwillig ist. Ob ein BEM-Verfahren letztlich stattfindet, entscheidet immer der Mitarbeitende. Wir möchten bereits im Vorfeld klarmachen, dass weder eine Zusage noch eine Ablehnung Nachteile mit sich bringt.

Was bedeutet ein BEM für die Mitarbeitenden, was sind die Ziele des Verfahrens?

Drei Aspekte spielen eine Rolle: Prävention, Rehabilitation und Integration sind maßgeblich im BEM. Als Arbeitgeber geht es uns zunächst um den betrieblichen Hintergrund. Wir möchten im Gespräch mit den Mitarbeitenden klären, ob ihre Erkrankung mit dem Arbeitsplatz zusammenhängt und wie wir in diesem Fall durch rehabilitative und integrative Maßnahmen unterstützen können. Bei einer länger bestehenden Erkrankung schauen wir gemeinsam, wie eine Rückkehr aussehen kann – ob beispielsweise der Arbeitsplatz umgestaltet werden muss und welche persönlichen Hilfsangebote sinnvoll sind. Wenn eine Weiterbeschäftigung am ursprünglichen Arbeitsplatz nicht möglich sein sollte, versuchen wir, andere Beschäftigungsoptionen zu finden. Aber auch präventiv ist es für uns natürlich wichtig zu wissen, welche Erkrankungen hinter längeren oder häufigen Ausfällen stehen. Diese Informationen greifen wir auf, um einer erneuten Arbeitsunfähigkeit möglichst vorzubeugen, gegebenenfalls auch bei noch nicht erkrankten Mitarbeitenden.

Und wie läuft ein BEM ab? Wer ist daran beteiligt?

Mit der Einladung startet das BEM-Verfahren. Wer sie erhält, kann aus den Mitgliedern des Integrationsteams erst einmal eine Beratungsperson seines Vertrauens wählen. Meist sind das die Betriebsärzte. Diese Vertrauensperson führt ein Erstgespräch mit den Mitarbeitenden. Wenn sie sich danach entschließen, tiefer einzusteigen, wird das BEM im Integrationsteam weiter bearbeitet. Solche Teams gibt es bei uns in jeder Klinik. Sie setzen sich zusammen aus dem Betriebsrat, der Schwerbehindertenvertretung, dem Betriebsarzt und dem Personal-Zentralbereich, der verantwortlich ist für das gesamte Verfahren.

Das Integrationsteam führt dann weitere Gespräche mit den Mitarbeitenden?

Ja, in diesen Gesprächen klären wir, welche Belastungen im Einzelnen vorliegen, welche Ressourcen aber auch vorhanden und welche Hilfen erforderlich sind. Auf dieser Grundlage erarbeiten wir ein individuelles Unterstützungsangebot. Im Verfahren besprechen wir etwa, was wir im Rahmen der Rehabilitation tun können. Das können ambulante oder stationäre Maßnahmen sein oder auch die stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsalltag. Bei den integrativen Schritten geht es dagegen eher um eine Veränderung des Arbeitsplatzes, eine innerbetriebliche Qualifizierung, ein Coaching – oder eben auch um eine Versetzung.

Ein Beispiel?

Nehmen wir etwa Muskel-Skelett-Erkrankungen, die in der Pflege noch immer die häufigste Ursache für Fehlzeiten sind. Hier machen wir zunächst eine Arbeitsplatzbegehung. Wir sehen uns an, ob und wie die Hilfsmittel, die es im Pflegealltag gibt, zum Einsatz kommen, gegebenenfalls beschaffen wir weitere, individuell passende Mittel. Wir versuchen den Arbeitsplatz so anzupassen, dass dort weitergearbeitet werden kann, und schauen gleichzeitig, was wir präventiv anbieten können zum Aufbau der Muskulatur.

Und wenn eine Rückkehr an den ursprünglichen Arbeitsplatz nicht möglich ist?

In den KRH-Kliniken gibt es unterschiedliche Schichtmodelle, sodass es für Pflegefachpersonen eine Lösung sein kann, in ein anderes Team des Hauses oder an einen anderen Standort zu wechseln. Allerdings muss man auch verstehen, dass das BEM-Verfahren immer kompromissorientiert ist. Es handelt sich um ein Geben und Nehmen – und funktioniert nur, wenn man wirklich aufeinander zugeht. Wenn jemand beispielsweise sagt: Ich kann keine Nachtdienste mehr machen, dann ist es am Ende vielleicht doch möglich, sich auf ein oder zwei Dienste zu einigen. Denn wir als Klinik müssen ja auch unsere Versorgungspflicht gegenüber den Patienten erfüllen.

Spielt der Fachkräftemangel eine Rolle?

In Zeiten des Fachkräftemangels ist das BEM auch ein wichtiges Instrument, um das krankheitsbedingte Ausscheiden von Mitarbeitenden zu verhindern. Unser Anspruch ist es, sie möglichst vom Beginn ihres Berufslebens bis zur Rente gesund und motiviert im Unternehmen zu beschäftigen. Ich empfehle daher jedem eingeladenen Mitarbeitenden, an einem BEM teilzunehmen. Denn auch von denjenigen, die nach dem Erstgespräch weitere Maßnahmen ablehnen, weil kein Bedarf besteht und ihre Erkrankung nichts mit ihrem Arbeitsumfeld zu tun hat, hören wir oft: Es hat dennoch gutgetan, über die Situation zu sprechen. Und umgekehrt erfahren wir in diesen Gesprächen von den Belastungssituationen der Beschäftigten. Das ist ein großer Vorteil für beide Seiten.

Wie lange dauert ein BEM-Verfahren?

Manchmal kann ganz schnell eine Lösung gefunden werden, manchmal läuft es länger als ein Jahr – das hängt völlig vom Einzelfall ab. Ein BEM ist im Idealfall beendet, wenn die Maßnahmen erfolgreich waren. Es kann aber natürlich auch vorkommen, dass Mitarbeitende den Prozess abbrechen oder die Maßnahmen scheitern. Wenn eine Weiterbeschäftigung krankheitsbedingt gar nicht möglich ist, wird gegebenenfalls in Kooperation mit dem Rentenversicherungsträger eine Teilerwerbsunfähigkeit geprüft. Dann unterstützen wir in diesem Verfahren.

Was geschieht mit den vertraulichen Informationen, die Sie in den Gesprächen erhalten?

Generell unterzeichnen alle Beteiligten schon zu Beginn des BEM eine Schweigepflichterklärung. In den Personalakten der Mitarbeitenden wird nichts über das Verfahren dokumentiert. Die einzigen Punkte, die dort auftauchen, sind die Einladung und gegebenenfalls die Maßnahmen, die ergriffen wurden – wenn beispielweise eine Versetzung stattgefunden hat oder der Arbeitsplatz umgestaltet wurde. Ansonsten wird das ganze Verfahren in einer Nebenakte geführt, die nur dem Integrationsteam vorliegt und nach dem Ende des BEM vernichtet wird.

Zur Person

Die 63-jährige Cornelia Rose arbeitet seit 1992 für das Klinikum Region Hannover (KRH), ein kommunaler Krankenhausverbund mit zehn Standorten. Sie ist DiplomÖkonomin, hat den Arbeitsschutz aller Kliniken im KRH reorganisiert und leitet heute den Bereich Arbeitsfähigkeitsmanagement und Prävention.

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