„Da muss man dann das Beste draus machen.“ Es ist ein gesunder Pragmatismus, der Gertrud Stoffels auszeichnet und der sie und den sogenannten „Wohnbereich 3“ des Trierer Alten- und Pflegeheims Stift St. Irminen schon durch manche heikle Lage gesteuert hat. Den hohen Krankenstand etwa im Januar fängt sie mit viel Organisation und Flexibilität ab. Auch das Interview für diesen Artikel – es sollte in den Räumlichkeiten des Stifts stattfinden – wird nach Ausbruch des Corona-Virus umstandslos aufs Telefon verlegt: „Schade, ja, aber dann muss es eben so gehen.“
Es ist März, die Corona-Krise hat Deutschland im Griff. Bundeskanzlerin Merkel hat gerade den nationalen Shut-Down verkündet, das öffentliche Leben ist zum Erliegen gekommen, und auch Krankenhäuser und Pflegeheime schotten sich nach und nach gegen Auswärtige ab, fahren Besuchszeiten herunter oder erteilen gleich ganz Besuchsverbot. So auch das Stift St. Irminen mit seinen vier Wohnbereichen.
„Es gab aber Ausnahmeregeln“, erklärt Stoffels, „etwa für den Fall, wenn ein Bewohner im Sterben liegen sollte“. Die neue Situation ging auch an den Mitarbeitern nicht spurlos vorbei. Auch wenn „jeder anders reagierte“, wie Stoffels sagt – sie spürte die Bedrückung, die Unsicherheit in ihrem sonst so fröhlichen Team. Zwölf Menschen arbeiten unter der Führung der 58-Jährigen, elf Frauen und ein Mann, einige sind als Pflegehelfer, die meisten als Pflegefachkräfte angestellt. Als solche hat auch Stoffels vor elf Jahren ihren Werdegang in dem Heim, das zur Stiftung Vereinigte Hospitien gehört, begonnen. Schon nach einem Jahr übernahm sie die kommissarische, kurz darauf die umfängliche Leitung des Wohnbereichs 3.
„Es ist Arbeit, ein Pflegeteam zu formen“
Die erste große Krise musste Gertrud Stoffels vor zwei Jahren bewältigen. Damals wurde das Personal zusehends knapper, peu à peu verabschiedeten sich Mitarbeiter, neue Fachkräfte waren kaum zu bekommen. „In den schlimmsten Wochen hatten wir nur acht Pflegemitarbeiter für 32 Bewohner.“ Ihr Arbeitgeber handelt und holt Leihkräfte ins Haus, darunter auch zwei Pflegerinnen aus Bosnien-Herzegowina. Ein Experiment – das erst einmal schief geht. Die beiden Frauen hatten in ihrem Herkunftsland klassische Krankenpflege gelernt, waren mit der Altenpflege, wie sie in Deutschland verstanden wird, überfordert. Es dauert nicht lange, und die beiden verlassen ihren neuen Arbeitgeber wieder.
Nach dem anfänglichen Schock, erneut nach neuem Personal suchen zu müssen, zieht Stoffels eine Art innere Handbremse – und ein ehrliches Resümee: Es ist offensichtlich Arbeit, ein Pflegeteam zu formen, ein internationales zumal, so ihre Erkenntnis. Sie will weiter auf Mitarbeiter aus anderen Staaten setzen, darin sieht sie die Lösung gegen den Pflegefachkräftemangel, zumindest für ihr Haus. Doch sie wollte es nun anders angehen. Eine Enttäuschung? Ja. Ein Rückschlag? Auch das. „Aber ich wollte aus den Geschehnissen lernen.“ Machen wir doch das Beste draus.
Mitarbeiter, die ihre Familien verlassen mussten
Das Wichtigste: „Wir müssen uns klarmachen, wie viel diese Menschen mitbringen.“ Das mögen zum einen Fachkenntnisse und Pflegeerfahrung sein, „aber auch, und das sollten wir nicht vergessen: eine eigene Geschichte. Die meisten von ihnen mussten geliebte Menschen in ihrem Heimatland zurücklassen, haben viel Kraft und Mut mobilisiert, um sich für dieses neue Leben oder Zweitleben in einem fremden Land zu entscheiden.“
Gemeinsame Spaziergänge durch die Altstadt
Sie sagt das auch mit Blick auf Florica Kapros und Diana Roman, zwei gelernte Krankenschwestern aus Rumänien, die seit einigen Monaten im Wohnbereich 3 arbeiten. Ihre Familien sehen die beiden nur fünf bis sechs Mal im Jahr, täglich wird dafür gechattet und geskypt. Gegen das Heimweh helfen Ablenkung – durch die Arbeit auf dem Wohnbereich und durch Sprachkurse –, aber auch die fürsorgliche Hand von Gertrud Stoffels. „Sie ist eine tolle Chefin“, schwärmt Florica und erzählt von gemeinsamen Spaziergängen durch die Trierer Altstadt, von Kinobesuchen und Abenden in einer örtlichen Pizzeria. „Doch was fast noch wichtiger ist: Sie hat immer ein offenes Ohr, ist freundlich, hat Verständnis für uns“, ergänzt Diana.
Wenn beim Gegenüber die Konzentration schwindet
Das sei auch der richtige Weg, sagt ihre Vorgesetzte: „Es braucht Fingerspitzengefühl und Rücksicht, wir müssen neuen Kollegen Zeit geben, sich einzugewöhnen.“ Auch an die fremde Sprache gehören Mitarbeiter aus anderen Ländern behutsam herangeführt. „Vor allem in Einarbeitungsgesprächen: Da redet man als Führungskraft vielleicht minutenlang, erklärt Prozesse oder beschreibt ausgiebig, was den ein oder anderen Bewohner ausmacht – und merkt gar nicht, wie beim Gegenüber langsam die Konzentration schwindet“, so Stoffels. „In einer fremden Sprache lange folgen zu können, ist ja ein immenser Kraftakt.“ Die Wohnbereichsleiterin zwingt sich deshalb dazu, ihre nicht-deutschsprachigen Mitarbeiter, fünf sind es derzeit in ihrem Team, beim Gespräch zu beobachten. „Man sieht es ihnen ja meistens an, wenn sie nichts mehr verstehen.“ Da heiße es dann: innehalten, eine Pause machen, das Gespräch vielleicht um einen Tag oder ein paar Stunden zu verschieben.
Zudem gelte es, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Deshalb wird Eigenständigkeit im Stift St. Irminen groß geschrieben. Gertrud Stoffels hat ihren Mitarbeitern verschiedene Aufgabenbereiche zugeteilt, ihnen Teilverantwortung auch für einzelne Zimmer übertragen. Die Disposition von Hilfsmitteln gehört etwa dazu, wie Florica erzählt. Dafür, dass für ihre Bewohner stets genug Handtücher, Waschlappen und Pflegeartikel bereit liegen, ist die 45-Jährige selbst zuständig. Die Begeisterung darüber, ihr Ansporn, alles richtig zu machen, hört man ihr auch übers Telefon an.
Auch mal die Hand der Bewohner zu halten – das hilft
Vertrauen herrscht auch in gemeinsamen Besprechungen: Stoffels ermutigt alle Mitarbeiter immer wieder, offen mit ihr zu reden, auch mal zu sagen, wenn ihnen etwas nicht passt. Die Zeit für Übergabegespräche berechnet sie großzügig, damit immer etwas Raum für ein paar private Worte bleibt. Und an traurigen oder anstrengenden Tagen verteilt sie auch mal ein paar Riegel Schokolade. „Nervennahrung“, sagt Florica lachend, das Wort hat sie vor Kurzem erst gelernt.
Im März hat Stoffels ein paar Schokoriegel mehr als sonst verteilt. Die Bedrohung durch den Corona-Virus drückte auch die Stimmung im Wohnbereich 3. Ob und wann zum Beispiel die beiden Rumäninnen ihre Familie wiedersehen würden – Florica ihren Ehemann und ihren erwachsenen Sohn, Diana ihre Eltern – wussten sie nicht, fürs erste waren die Grenzen geschlossen. Auch im Pflegeheim selbst war die Lage angestrengt, hatten einige Bewohner Angst. „Wir haben alles versucht, um die Bewohner zu beruhigen“, sagt Florica. „Viele verstanden ja nicht, warum die Angehörigen sie nicht mehr besuchen konnten, warum es keine langen Spaziergänge mehr gab, keine Kirchgänge, sie plötzlich auf Abstand zu anderen Bewohnern gehen mussten.“ Was immer hilft, sind ruhige Gespräche, den alten Menschen ihre Lieblingsmusik vorzuspielen oder ihnen auch mal die – sorgsam desinfizierte – Hand zu halten. „Wissen Sie“, sagt Florica am Ende des Gesprächs, „wir machen hier einfach das Beste draus“. Und es ist klar, von wem sie auch diesen Satz gelernt hat.
Text: Romy König
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