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Foto: Foto: MD Rheinland-Pfalz

Was ist die Aufgabe des MD Rheinland-Pfalz?

„Wir sind nicht nur Schreibtischtäter!“

Sonja Schreiber, Gutachterin beim Medizinischen Dienst, erklärt, warum sie sich als fachlich unterstützende Ansprechpartnerin versteht. Und warum Pflegefachpersonen häufig froh sind über ihren Besuch.

Sie hatte ihren Schreibtisch schon geräumt, die letzten Akten weggepackt, noch ein paar Telefonate geführt, sich bereit gemacht für eine finale Abschiedstour bei Langzeitkunden, die sie in ihren acht Jahren als Pflegedienstleitung ambulant betreut hatte. Wie man das so macht, wenn man seinen Arbeitgeber wechselt. Da klingelte das Telefon. „Dran war“, erzählt Sonja Schreiber in fröhlich-rheinischem Ton, „der Medizinische Dienst der Krankenkasse und sagte, man würde heute noch vorbeikommen.“

Nicht allein, dass an ihrem letzten Arbeitstag also überraschend noch eine MDK-Prüfung anstehen würde, die erste ihres Berufslebens als verantwortliche Pflegefachkraft überhaupt. Schreiber konnte nun auch gleich erleben, wie ihre eigene künftige Arbeit aussehen würde. Denn es war der MDK – heute: Medizinischer Dienst (MD) – den sich Schreiber kurz zuvor als neuen Arbeitgeber ausgesucht hatte.

Weiter täglich mit Fragen der Pflege zu tun

Sie habe sich nach über zwanzig Jahren aktiver Pflegetätigkeit „beruflich einfach mal verändern“, ihre gewonnene Expertise in neuer Form einsetzen wollen, erinnert sich die examinierte Altenpflegerin. Eine Flucht aus der Pflege sei das nicht gewesen. „Dazu liebe ich die Arbeit rund um die Pflege zu sehr, bin mit Leidenschaft dabei. Und genieße es auch heute noch, täglich mit Pflegefragen zu tun zu haben.“

Als Gutachterin des MD Rheinland-Pfalz ist Sonja Schreiber, zumindest in Nicht-Corona- Zeiten, bis zu dreimal wöchentlich unterwegs. Besucht in einem Team mit meist zwei anderen Kolleginnen Einrichtungen im nördlichen Teil des Bundeslands, voll- und teilstationäre ebenso wie ambulante Pflegeeinrichtungen. Sie ist dem Referat Externe Qualitätssicherung zugeordnet und überprüft, ob in den Einrichtungen die Qualitätsprüfrichtlinien (QPR) umgesetzt werden.

Frau Schreiber, könnte man sagen: Sie haben damals die Seiten gewechselt?

Sonja Schreiber: Wenn man es zuspitzen will, ja, vielleicht. Ich aber sehe es, vor allem nach nun bereits zwölf Jahren Arbeit beim MD, nach zahlreichen Prüfungen und Gesprächen mit Einrichtungsmitarbeitern, nach vielen Stunden Beratung und Hilfestellung, anders. Wir wollen alle dasselbe: dass die zu pflegenden Menschen gut und sicher versorgt sind. Da braucht es keine Feindbilder.

Moment, Sie sprechen von Beratung? Wie können Sie beraten, wenn Sie doch prüfen müssen?

Das eine schließt das andere nicht aus. An so einem Prüftag versuchen wir, uns einen Überblick zu verschaffen über die Strukturen und Prozesse einer Einrichtung, natürlich auch über die Ergebnisqualität. Wir schauen entlang der QPR, ob das Risikomanagement gut umgesetzt ist, ob etwa Sturz- oder Dekubitusrisiken eines zu Versorgenden gut erkannt werden. Ob seine Ernährung stimmt, ob ärztliche Anordnungen adäquat umgesetzt worden sind. Aber wir wollen auch einen Beitrag leisten, die Versorgungsqualität stabil zu halten oder zu verbessern, eben, indem wir den Einrichtungen etwas mit auf den Weg geben.

Wie kann das konkret aussehen?

Manchmal sehr praktisch: Ich habe einmal festgestellt, dass ein Bewohner in einem zu kurzen Bett lag. Das habe ich angesprochen, es wurde direkt nachgeschaut, ob es im Haus ein größeres Bett gibt. Tatsächlich: Es gab eins – und es wurde noch am Prüftag ausgetauscht. Dann wieder arbeiten wir auch perspektivisch. Etwa beim Thema Dekubitus: Wenn wir sehen, dass sich an der Haut eines zu Versorgenden Rötungen abzeichnen, die Risikoeinschätzung und Prävention nicht individuell genug ist, dann beraten wir im Gespräch und empfehlen unter Umständen, die Mitarbeiter noch mal zu schulen.

Aber genau mit solchen Anforderungen – alle Mitarbeiter schulen – machen Sie sich sicher keine Freunde …

Wir wissen, dass die Zeiten hart sind. Dass Personal fehlt und somit auch Zeit. Dazu schränkt Corona vieles ein. Glauben Sie mir, wir bekommen das täglich mit. Da sitzen neben uns teils sehr ausgelaugte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir gemeinsam in die Dokumentation schauen.

Wir wissen, dass man nicht immer mal eben eine Schulung für die Mitarbeiter einrichten kann. Also packen wir „das kleine Besteck“ aus: Ich berate meinen Ansprechpartner – die Wohnbereichsleitung oder Pflegefachkraft –, worauf es etwa beim Dekubitusrisiko ankommt, und er nimmt die Info mit ins Team.

Werden für die Prüfung gezielt zu Pflegende herausgesucht, die besonderen Bedarf haben? Einfach, weil man „da mal genauer hinschauen“ möchte?

Nein, es gilt – pauschal gesagt – das Zufallsprinzip. Früher wurde bei vorgegebenen Pflegegraden zu diesem Zweck gewürfelt. Heute werden, zumindest im stationären Sektor, die zu prüfenden Bewohner über vorgegebene Zufallszahlen durch ein IT-System ausgewählt.

In Auftrag gegeben werden die Prüfungen von den Landesverbänden der Pflegekassen, die MD-Hauptgeschäftsstelle in Alzey erstellt daraufhin einen Prüfplan für ihre Gutachter und Gutachterinnen. Die Einrichtungen werden einen Tag vor der Prüfung per Fax und per Mail informiert. Vor der Pandemie arbeitete Schreiber nach einem Monatsprüfplan, im Moment je- doch wird von Tag zu Tag geplant, um auf etwaige Infektionsgeschehen in den Einrichtungen reagieren zu können.

Sie betonen das Kooperierende Ihrer Arbeit. Aber die Einrichtungen begegnen Ihnen doch sicher erst einmal mit Skepsis?

Sicher müssen wir häufig erst einmal die Anspannung lösen. Das versuchen wir, indem wir Gutachter uns zu Beginn eines Prüfungstages vorstellen, erklären, welche Basisqualifikationen wir haben und wie sich der Tagesablauf gestaltet. Auch um zu zeigen: Wir sind nicht nur „Schreibtischtäter“, wir bewegen uns auf Augenhöhe, können uns fachlich austauschen. Ich habe immer den Eindruck, wenn man sagt, man hat selber Pflegefachpraxis, dann kommt ein erleichtertes Raunen. Ein: „Na, dann ist ja gut.“ Dann ist in der Regel erst mal der Druck etwas raus.

Den Druck rausnehmen, das gelingt ihr offensichtlich gut. Ein flotter Spruch, ein kleiner Witz, das braucht es oft, um eine Basis zu schaffen. Schreiber erinnert sich: Da gab es die junge Pflegefachkraft, die offenkundig aufgeregt ihrer ersten MD-Prüfung entgegensah. Angespannt war sie, ein bisschen ängstlich gar. Schreiber blätterte durch die Dokumentation, stutzte an einer Stelle, tippte mit dem Finger darauf, setzte ein strenges Gesicht auf und sagte mit ernstem Ton: „Was haben Sie denn bitte da gemacht?“ Die Pflegerin erblasste, schaute in die Akte, las ihren eigenen Vermerk – Lieblingsgetränk eines Bewohners: „ein Bitt“. „Unser gutes Bitburger, unser gutes Eifelbier – und Sie schreiben es mit Doppel-T?“ Schreiber fing breit an zu grinsen, die junge Pflegerin grinste mit. Am Ende lachten sie beide – das Eis war gebrochen.

Frau Schreiber, sind Sie als rheinische Frohnatur nicht vielleicht eine Ausnahmeerscheinung in der MD-Welt?

Ich sage immer: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Das Auftreten, die Tonlage, das macht viel aus. Oder ob man sich als „Korinthe“ gibt.

Als „Korinthe“? Sie meinen: hypergenau? Aber das müssen Sie doch sein?

Ja, sicher, aber es muss fachlich, sachlich und freundlich kommuniziert werden. Hin und wieder lese ich in den Dokumentationen die Formulierung „Wunde am Steißbein“, fachlich gemeint ist aber der Sakralbereich, das Steißbein liegt viel tiefer. Da wir Pflegenden bei solchen Begriffen fachlich korrekt bleiben sollten, erkläre ich das dann – in ruhigem Ton. Aber es gibt auch Prüfungen, bei denen ich nicht mehr locker bleiben kann. Wir erleben bedingt durch den oft deutlichen Personalmangel teilweise gravierende Versorgungsdefizite: Gewichtsverluste, Wunden, pflegerische Defizite. Hier ist umso mehr der fachliche Austausch und beratende Ansatz durch uns gefordert. Auch empfehlen wir dann gerne die Unterstützung durch unser Beraterteam, welches zu bestimmten Themen kostenfrei die Einrichtungen berät.

Vermissen Sie manchmal die aktive Pflege?

Während der Pandemie habe ich für kurze Zeit noch mal als Pflegefachkraft in einer Senioreneinrichtung ausgeholfen. Als ich abends nach meiner ersten Spätschicht heimkam, hat mein Mann zu mir gesagt: Du hast ganz leuchtende Augen. Also ja, die Pflege und ich, das ist Leidenschaft. Wie gut, dass ich diese Leidenschaft auch als MD-Gutachterin ausleben kann.

Qualitätsprüferin beim Medizinischen Dienst

Der MD beschäftigt bundesweit etwa 3.000 Pflegefachkräfte, die bei ihren Besuchen bei Versicherten den Grad der Pflegebedürftigkeit ermitteln oder in Pflegeeinrichtungen die Pflegequalität prüfen. Voraussetzungen für die Tätigkeit als Qualitätsprüfer/- in sind neben erfolgreich abgeschlossener Ausbildung oder einem Studium zur Pflegefachkraft ein pflegewissenschaftliches Studium oder eine leitungsbezogene Weiterbildung (PDL) sowie Leitungserfahrung und fundiertes pflegerisches Fachwissen in der Altenpflege. Bereitschaft zur beruflichen Weiterentwicklung, Freude an der Kommunikation mit Menschen in unterschiedlichsten Zusammenhängen sowie ein empathisches und sicheres Auftreten werden vorausgesetzt, ebenso eine gute Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, Sachverhalte in Wort und Schrift fehlerfrei prägnant zu formulieren.

Weitere Informationen:

 Dieser Artikel ist im September 2022 in der Ausgabe 30 des Magazins der Pflegekammer Rheinland-Pfalz erschienen. Hier können Sie einen Blick in die gesamte Ausgabe werfen!   

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