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Berufsstolz

„Wir sind keine Opfer“

Ohne professionelle Pflege geht nichts – das hat die Corona-Pandemie eindeutig gezeigt. Warum tun sich Pflegende dennoch oft so schwer, stolz auf ihren Beruf zu sein? Und wie lässt sich das ändern?

Es gibt so vieles, auf das Pflegende stolz sein können. Zum Beispiel darauf, dass der junge Intensivpatient trotz wochenlanger Beatmung keine Pneumonie entwickelt hat. Dass die ältere Dame mit Demenz mithilfe des Pflegedienstes weiter in ihrem Zuhause bleiben kann. Oder dass der alte Herr im Pflegeheim friedlich im Kreis seiner Familie sterben und dieser Abschied würdig begleitet werden konnte. Pflegefachpersonen leisten täglich so vieles für die Gesellschaft. Doch oft ist ihnen das selbst gar nicht bewusst.

Diese Erfahrung hat auch Laura Tietze gemacht, Pflegedienstleitung und Praxisanleitung in der Pro Seniore Residenz Parkstift in Landau: „Der Berufsstolz hängt bei vielen sehr stark davon ab, welche Anerkennung sie von außen bekommen. Für viele ist Pflege zwar der schönste Beruf, den sie sich vorstellen können. Ihnen fehlt aber die Anerkennung der Gesellschaft.“ Häufig begeben sie sich dann in die Opferrolle und hoffen auf eine Lösung des Problems von außen. Dabei sei es so wichtig, das Bild der Pflege in der Öffentlichkeit selbst mitzuprägen, findet Tietze. Für den Berufsstolz sei jeder mitverantwortlich: „Wir sind alles andere als Opfer.“

Fehlender Berufsstolz kann gefährliche Folgen haben 

Selten hat der Pflegeberuf so viel Aufmerksamkeit bekommen wie in Zeiten von Corona. Dennoch hat sich der Berufsstolz in der Pandemie – trotz Klatschen, Versprechungen und vollmundig angekündigter Boni – eher verschlechtert, meint Dr. German Quernheim, Pflegepädagoge, Praxisanleiter und Buchautor. Denn die Unzufriedenheit der Pflegenden hänge vielfach mit den Arbeitsbedingungen zusammen, und die haben sich in der Pandemie noch mal verschärft. „Man hat die Personaluntergrenzen ausgehebelt, wieder 12-Stunden-Dienste eingeführt und sogar laut darüber nachgedacht, infizierte Pflegende ohne Symptome weiter arbeiten zu lassen“, sagt Quernheim. „Die Frustration ist also größer geworden und Studien deuten darauf hin, dass es nach der Pandemie zur Berufsflucht kommen wird, gerade in der Intensivpflege.“

Der Rheinland-Pfälzer Quernheim hat zusammen mit der Pflegewissenschaftlerin Dr. Angelika Zegelin ein Buch zum Thema Berufsstolz geschrieben. Es ist ein Mutmachbuch, mit dem sie ein neues Berufsbewusstsein anstoßen möchten. „Stolz wird oft negativ konnotiert, aber Pflege braucht Berufsstolz!“, sagt Quernheim. „Wir sind weit davon entfernt, überheblich aufzutreten – ganz im Gegenteil. Pflegende im deutschsprachigen Raum fühlen sich eher als ‚Mädchen für alles‘ und treten bescheiden zurück. Deswegen möchten wir mit unserem Buch ein starkes Plädoyer für mehr Selbstbewusstsein geben.“ 

Stolz bedeute dabei das Gefühl einer ausgeprägten Zufriedenheit mit sich selbst. Wertschätzung sei demgegenüber die positive Bewertung durch andere, also Kollegen, Patienten oder die Gesellschaft. Gründe, warum der Berufsstolz in der Pflege oft so gering ausgeprägt sei, sieht Quernheim in der Mentalität der Pflegenden. Diese sei vielfach durch Selbstlosigkeit und ein zu geringes Bewusstsein für die eigenen Rechte geprägt. Einen weiteren Grund sieht Quernheim in der Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die die Kliniken und Pflegeeinrichtungen immer stärker unter Druck setze. „In den letzten 20 Jahren kam es zum eklatanten Stellenabbau in der Pflege, der vielfach durch Hilfskräfte kompensiert wurde. Pflege ist seitdem immer mehr auf Handgriffe reduziert worden. Die Beziehungs- oder Seelenarbeit, die den Pflegeberuf ausmacht, ist dabei verloren gegangen.“

Jedoch: „Nur wenn die berufliche Tätigkeit so umgesetzt wird, dass sie dem Berufsethos, der Fachlichkeit und der Motivation entspricht, reift ein positives Gefühl von Berufsstolz. Pflegende erleben Stolz, wenn sie etwas gut können und ihre pflegerischen Kompetenzen selbstständig einsetzen und das Outcome, also das Ergebnis ihrer Pflege, qualitativ verantworten“, sagt Quernheim. Sei das nicht gegeben und seien obendrein noch die Arbeitsbedingungen schlecht, fördere das die Unzufriedenheit der Pflegenden – mit dem Risiko, dass sie dem Beruf irgendwann ganz den Rücken kehren. Mit gefährlichen Folgen: Wenn es nicht ausreichend Pflegende gebe, müssten Notaufnahmen, Intensivstationen, Pflegedienste und Pflegeheime Menschen abweisen oder Betten schließen. Das könne tödlich werden. „Unsere Gesellschaft kann es sich also gar nicht leisten, den Pflegeberuf ausbluten zu lassen. Wir müssen gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen schaffen und dafür sorgen, dass Pflegende wieder stolz auf ihren Beruf sein können“, sagt Quernheim.

Ein Wir-Gefühl schaffen

Auch Pflegedienstleiterin Laura Tietze hat sich auf den Weg gemacht, um den Berufsstolz in der Pro Seniore Residenz Parkstift zu verbessern. Ihre Einrichtung gehört der Victor’s Group an, die deutschlandweit 120 Altenpflegeeinrichtungen betreibt. Da das Thema mangelnder Berufsstolz in allen Einrichtungen zu beobachten war, hat die Victor’s Group schon früh die Kampagne „proud to care“ unterstützt. Ins Leben gerufen wurde diese Ende 2019 von Chantal Ostermann und Katrin Eschenweck-Günther – mit dem Ziel, mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern und ein Wir-Gefühl in der Branche zu schaffen: www.proud-to-care.de. Seitdem hat der Slogan „proud to care“ in der Pro Seniore Residenz Parkstift Einzug gehalten und erinnert die Pflegenden in der Signalfarbe Magenta-Pink auf T-Shirts, Aufklebern und Kugelschreibern, dass Pflegende allen Grund haben, auf ihren Beruf stolz zu sein.

Über diese Kampagne hinaus wurden weitere Stellschrauben gedreht, um den Berufsstolz zu fördern. „Wir arbeiten mittlerweile in der 5-Tage-Woche, was die Zufriedenheit der Pflegenden deutlich erhöht hat“, berichtet Tietze. Es gebe mehr Fortbildungen, mehr gemeinsame Aktivitäten, mehr Mitarbeitergespräche und überhaupt mehr Rückmeldung und Präsenz der Vorgesetzten. Tietze selbst geht täglich jeden Morgen über die sechs Wohnbereiche in ihrer Einrichtung. Dabei spricht sie nicht nur mit den Wohnbereichsleitungen, sondern bewusst mit allen Mitarbeitenden: „Ohne die Basis können wir nicht leuchten“, sagt sie, „alle sind in ihrer Funktion sehr viel wert und werden dringend gebraucht.“

Um den Pflegenden zu zeigen, was sie alles leisten, feilt Tietze ganz aktiv am Pflegeverständnis ihrer Mitarbeitenden. Dazu hat sie sich zum Beispiel mit den Teams zusammengesetzt und schriftlich festgehalten, was die Pflegenden im Frühdienst so machen. „Mir ging es darum zu zeigen, dass Pflegende nicht ‚nur‘ waschen, sondern gleichzeitig so viel mehr übernehmen wie Prophylaxen durchführen, die Kontinenz fördern, die Mobilität unterstützen, Zuspruch geben und vieles mehr“, sagt Tietze. „Es hat den Pflegenden vor Augen geführt, was sie pro Schicht alles leisten, und das hat sie sehr stolz gemacht. Pflegefachpersonen tragen auf den Wohnbereichen eine hohe Verantwortung. Sie müssen Risiken und Gefahren pflegefachlich einschätzen und geeignete Maßnahmen ergreifen – ein Arzt ist in der Regel nicht direkt greifbar.“ Tietze möchte ein professionelles Denken der Pflegenden fördern. „Nur wenn wir uns nach außen hin als professionelle Berufsgruppe präsentieren, werden wir von der Gesellschaft auch so wahrgenommen werden.“

Berufsstolz braucht Vernetzung

Dr. German Quernheim sieht die Professionalität ebenfalls als einen wichtigen Schlüssel, um Berufsstolz entwickeln zu können. „Wir brauchen eine hohe Fachlichkeit, sowohl in der Ausbildung als auch in der Fort- und Weiterbildung. Jede Veranstaltung muss sich auf die Fahnen schreiben, dass die Teilnehmenden engagiert, motiviert und überzeugt aus ihr herausgehen“, sagt Quernheim, der kürzlich ein E-Learning zum Thema Berufsstolz entwickelt hat (www.Anleiten2Go.de). Um die Professionalität zu fördern, sei es zudem wichtig, sich täglich mit seinen Kolleginnen und Kollegen und anderen Berufsgruppen auszutauschen – und zwar in der dem Pflegeberuf eigenen Fachsprache. „Wir können stolz darauf sein, so eine Sprache zu sprechen, und können viel kompetenter miteinander umgehen, wenn wir dieses Instrument auch nutzen“, betont Quernheim.

Eine ganz wichtige Rolle spielen Vorgesetzte und Praxisanleiter, wenn es um den Berufsstolz geht. „Das ist einfaches Lernen am Modell“, sagt Quernheim. „Wenn Vorgesetzte Dinge offen ansprechen, mit den Mitarbeitenden gemeinsam reflektieren und eine Haltung an den Tag legen, die Pflege in ihrer Abteilung kontinuierlich zu verbessern, wird sich das auf die Pflegenden übertragen“, sagt Quernheim. „Auch Berufsstolz ist lernbar.“

Ein entscheidender Punkt, um den Berufsstolz zu fördern, sei ein besseres Organisieren innerhalb der eigenen Berufsgruppe. „Es wäre doch naiv zu glauben, dass die Politik dafür sorgen kann, dass wir mehr Anerkennung erhalten“, sagt Quernheim und zitiert die Reformerin der deutschen Krankenpflege, Agnes Karll: „Wer, wenn nicht wir selbst, muss das tun!“ Wenn Pflegende sich organisieren – ob in der Kammer, im Berufsverband oder der Gewerkschaft –, können sie Lobbyarbeit betreiben und sich für bessere Bedingungen in der Pflege starkmachen. „Aber dafür sollten Pflegende sich engagieren und vernetzen, um mit einer Stimme sprechen zu können. Auch das macht stolz!“  

(Autorin: Brigitte Teigeler)

Nur wenn wir uns nach außen hin als professionelle Berufsgruppe präsentieren, werden von der Gesellschaft auch so wahrgenommen werden. 

Laura Tietze ist Pflegemanagerin B.Sc., Pflegedienstleitung und Praxisanleitung in der ProSeniore Residenz Parkstift in Landau.

Unsere Gesellschaft kann es sich gar nicht leisten, den Pflegeberuf ausbluten zu lassen.

Dr. German Quernheim ist Pflegepädagoge, Praxisanleiter und Mitautor des Buches „Berufsstolz in der Pflege“ (Von Dr. German Quernheim und Dr. Angelika Zeggelin, hogrefe 2021)

Mehr über die Arbeit der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz lesen Sie in Ausgabe #24 des Kammermagazins.

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