Keine Frage, Pflege ist ein Beruf von hohem Wert: Er schafft einen Sinn, er ist relevant, er ist erfüllend. Letzteres zumindest gaben drei Viertel der Pflegefachpersonen (75 Prozent) an, die an einer Studie der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz teilgenommen hatten. Im Auftrag der Landespflegekammer hatte das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) rund 2.660 Pflegefachpersonen nach der Einschätzung ihrer beruflichen Situation befragt.
Auffällig hohe Unzufriedenheit mit dem Beruf
An dieser Stelle sind die Ergebnisse alarmierend: 78 Prozent der Befragten sagen, der Beruf mache ihnen Freude – glücklich sind die beruflich Pflegenden in ihrem Arbeitsfeld unter den aktuellen Arbeitsbedingungen trotzdem noch lange nicht. Im Gegenteil: Befragt nach der Zufriedenheit mit ihrer beruflichen Lage – auf einer Skala von 1 (überhaupt nicht) bis 10 (völlig zufrieden) –, wurde lediglich ein Wert von 5,3 erreicht. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 7,0.
Was paradox klingt – Freude an der Tätigkeit bei zugleich niedrigem Zufriedenheitsscore –, löst sich auf bei einem Blick auf die Umstände, unter denen Pflegefachpersonen ihren Beruf ausüben: So geben 78 Prozent der Teilnehmer an, beruflich „stark“ bis „sehr stark“ belastet zu sein. Sie berichten etwa von einem hohen Zeitdruck (73 Prozent) und einem hohen Verwaltungsaufwand (72 Prozent). Aber auch organisatorische Mängel belasteten die Hälfte der Befragten (52 Prozent).
Zwei Drittel jener Befragten (65 Prozent), die im Schichtdienst arbeiten, müssen häufig oder sehr häufig ungeplant aus dem Frei einspringen; außerhalb des Schichtdienstes sind dies immerhin noch 57 Prozent. Das Problem: Die verlässliche Planung des Freizeitlebens – ob nun Verabredungen zum Abendessen oder die regelmäßige Teilnahme an einem Fitnesskurs – wird so erschwert; Ruhepausen, dringend nötig, um wieder Kraft zu schöpfen, seine Resilienz aufzubauen für die nächsten Arbeitsstunden, werden empfindlich gestört. Um Familie und Beruf im Berufsfeld der Pflegenden vereinbaren zu können, werden bedarfsorientierte und flexible Personaleinsatzpläne benötigt. Die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben ist eingeschränkt, das bestätigen mehr als die Hälfte aller Befragten (56 Prozent) und sogar zwei Drittel derjenigen, die im Schichtdienst arbeiten.
Nahezu alle in der Studie befragten Pflegefachpersonen (97 Prozent) haben, auch das wenig überraschend, Überstunden angehäuft, manche sogar in hoher Zahl: Ein Fünftel der Studienteilnehmer schob zum Zeitpunkt der Befragung 50 bis 100 Überstunden vor sich her, ein weiteres Fünftel sogar mehr als 100 Überstunden.
Viele Teilnehmer wirken deutlich verärgert
In einem bewusst offen gelassenen Kommentarfeld, eingeleitet mit der Frage, was die Studienteilnehmer gern noch loswerden möchten, übten die Pflegefachpersonen Kritik an ihren Arbeitsumgebungen: Vor allem ihrem Ärger über die ständige Rufbereitschaft oder die durch häufiges Einspringen bedingte Arbeitszeitverdichtung machten sie Luft. Dass die Pflegefachpersonen hier in Fülle Kommentare hinterließen, sei als Zeichen zu werten, dass ihnen das Thema Belastung wirklich „unter den Nägeln brennt“.
Die Zeichen stehen auf Rückzug
Die Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeitssituation hat Folgen. Schon überlegen 71 Prozent der Pflege Vollzeitbeschäftigten, ihre Arbeitszeit aufgrund der hohen Arbeitsbelastung zu reduzieren; unter jenen Pflegefachpersonen, die im stationären Pflegedienst in Kliniken arbeiten, liegt dieser Anteil sogar bei 76 Prozent. Dies hängt bei weiterer Analyse unmittelbar mit dem Schichtdienst zusammen: Vollzeitbeschäftigte, die in drei Schichten arbeiten, sagten zu 75 Prozent, sie hätten schon daran gedacht, ihre Arbeitszeit zu reduzieren; von jenen Pflegefachpersonen, die nicht im Schichtdienst arbeiten, gaben immerhin zehn Prozentpunkte weniger diese Antwort.
Landespflegekammer: „Ausbluten der Pflege verhindern!“
„Zumindest manchmal“, so ein weiteres, ebenso alarmierendes Ergebnis der Studie, dächten Pflegefachpersonen daran, aufgrund der Belastungen sogar komplett aus ihrem Beruf auszusteigen; 42 Prozent der Befragten gaben dies an. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssten daher „deutlich verbessert“ werden, sagt Dr. Markus Mai, Präsident der rheinland-pfälzischen Landespflegekammer, in Reaktion auf die Studienergebnisse. Er warb für neue Arbeitszeitmodelle, eine moderne Organisationskultur sowie die Neuorganisation der interprofessionellen Aufgabenteilung, „um ein Ausbluten der professionellen Pflege in Deutschland zu verhindern“.
Es scheint bitter nötig. Denn mag eine große Mehrheit vielleicht nur „manchmal“ mit einem Ausstieg aus ihrem Beruf liebäugeln, dieser Option eher als Traum nachhängen, gibt es noch die anderen: Ganze 30 Prozent denken laut Befragung tatsächlich „öfter“ daran, die Pflege zu verlassen. Sie demnächst zu verlieren, ist also mehr als wahrscheinlich – so relevant und erfüllend der Beruf sonst auch sein mag.
Was die Landespflegekammer fordert
„Die Befragung zeigt deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der Pflegefachpersonen ihrem Beruf positiv gegenübersteht und sie pflegerische Tätigkeiten gern ausüben. Neben dem Gehalt müssen sich aber die Arbeitsbedingungen deutlich verbessern, damit Pflegende so arbeiten können, dass sie sich auf das Wesentliche in der professionellen Pflege konzentrieren können“, sagt der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz Dr. Markus Mai. Die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz fordert unter anderem:
- eine Personalausstattung, die den pflegewissenschaftlichen Standards entspricht
- neue Arbeitszeitmodelle, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern
- eine moderne Organisationskultur, damit Überstunden und ständiges Einspringen aus dem Frei ein Ende haben
- die Neuorganisation der interprofessionellen Aufgabenteilung ein Mindesteinstiegsgehalt von 4.000 Euro für alle Pflegefachpersonen (sprich, für alle Pflegenden mit einer dreijährigen Ausbildung) – dies wäre auch ein wichtiger Schritt, um die Ungleichheit zwischen Kranken- und Altenpflege aufzubrechen
Ranking: Was Pflegende am meisten stört
Antworten auf die Frage: „Was belastet Sie in Ihrer Arbeit besonders?“
Platz 1: „Zeitdruck, dass ich nicht genügend Zeit für die Patienten bzw. Klienten habe“ (73 Prozent)
Platz 2: „Hoher Verwaltungsaufwand, viel Bürokratie“ (72 Prozent)
Platz 3: „Organisatorische Mängel“ (52 Prozent)
Platz 4: „Mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte“ (49 Prozent)
Platz 5: Schlechte Bezahlung (48 Prozent)
Platz 6: „Körperliche Belastung zum Beispiel durch Tragen und Heben“ (45 Prozent)
Platz 7: Aggressive Patienten bzw. Klienten oder Angehörige (34 Prozent)
Platz 8: Mangelnde Wertschätzung durch Patienten, Klienten oder Angehörige (33 Prozent)
Platz 9:Dass ich den eigenen Ansprüchen an den Beruf nicht genüge (28 Prozent)
Platz 10:Fehlende oder mangelhafte technische Ausstattung (28 Prozent)
Platz 11:Die hohe Verantwortung (27 Prozent)
Platz 12:Konflikte mit Kollegen am Arbeitsplatz (22 Prozent)
Platz 13:Dass ich so viel Leid erlebe (6 Prozent)
Platz 14: Ekel (3 Prozent)
Text: Romy König
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