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Noch häufiger als Fehler bei der Medikamentenabgabe sind Fehler bei der Verordnung und bei der Einnahme bzw. Applikation.
Foto: Maren Schlenker
Noch häufiger als Fehler bei der Medikamentenabgabe sind Fehler bei der Verordnung und bei der Einnahme bzw. Applikation.

Medikamentensicherheit

Sicherer Umgang mit Medikamenten – die Pflegefachperson ist gefragt!

Ein ganzer Schwerpunkt über Medikamentensicherheit? Ja, denn es bedeutet nicht nur, Arzneien korrekt zu richten und zu verteilen. Es geht darum, für die Gesundheit und Lebensqualität der Patienten einzustehen und deshalb weit über das eigene Tätigkeitsfeld hinauszublicken.

Habe ich auch kein falsches Medikament gegeben? Hoffentlich war’s die richtige Dosis? – Fast alle Pflegefachpersonen kennen diese quälenden Fragen. In ihnen drücken sich die Verantwortung aus, die der Pflegeberuf mit sich bringt, und die Angst vor schweren Fehlern, die nachvollziehbar ist, denn jeder hat schon einmal von tragischen Medikamentenverwechslungen (beispielsweise Natrium mit Kalium) gehört. Auch wenn es nicht ratsam ist, sich immer das Schlimmste auszumalen: Respekt vor der Medikamenten­gabe ist angebracht – nicht zuletzt, weil wir dann wach­sa­mer und konzentrierter arbeiten, was die Fehlerwahrscheinlichkeit verringert. Auch gibt es diverse Arbeitsweisen, die das Richten und Verteilen der Medikamente sicherer machen

So wichtig eine korrekte Medikamentengabe ist: Fehler können noch an ganz anderen Stellen des Medikationsprozesses passieren. Noch häufiger als Fehler bei der Medikamentenabgabe sind Fehler bei der Verordnung und bei der Einnahme bzw. Applikation, wie ein Projekt der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft von 2018 zeigt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen:

  • Ein Medikament wirkt nicht wie vorgesehen, weil es eine Wechselwirkung mit einem anderen Medikament gibt (Verordnungsfehler).
  • Ein Medikamenten-Wirkstoff wird überdosiert: Ein Patient erhält etwa von der Internistin Diclofenac und vom Orthopäden Voltaren, das nur anders heißt als Diclofenac, aber ebenfalls den Wirkstoff Diclofenac enthält (Verordnungsfehler und Kommunikationsfehler, die laut Arzneimittelkommission immerhin 13 Prozent aller Medikationsfehler ausmacht).
  • Es werden viel zu viele Medikamente verschrieben – manche ältere Patienten erhalten 10 bis 15 Substanzen (Verordnungs- und Kommunikationsfehler).
  • Thyroxin wird nach dem Essen eingenommen (Einnahmefehler).
  • Zu einem Antibiotikum wird Mineralwasser getrunken (Einnahmefehler).
  • Ein gerinnungshemmendes Medikament wird mal um 8 Uhr und mal um 10 Uhr eingenommen (Einnahmefehler).

Auch wenn die Medikamentenverordnung Arztaufgabe ist:

  • Es ist für Pflegefachpersonen wichtig,über die Vielfalt der Medikationsfehler im Bilde zu sein,
  • die Wirkung und das Aussehen der Medikamente in ihrem Fachbereich zu kennen,auf pharmakologische Fortbildungen zu drängen,
  • bei Symptomen wie Schwindel, Müdigkeit, verändertes Gangbild, Obstipation etc. auch immer an Medikationsfehler als Ursache zu denken.

Hat die Pflegefachperson den Verdacht, dass ein Verordnungsfehler vorliegt, muss sie dies der Ärztin oder dem Arzt gegenüber ansprechen. Sie (und auch ihr Gegenüber) sollte das nicht als penetrante Einmischung werten, sondern als Pflicht, weil sie damit im Interesse des Patienten handelt. Die professionell Pflegenden, so steht es in der Berufsordnung (Seite 10) der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, „haben Mitverantwortung für eine hochwertige, qualitätsorientierte, professionelle und interprofessionelle gesundheitlich-pflegerische Versorgung“. In Ländern wie Australien, in denen es schon seit Jahrzehnten eine Pflegekammer gibt, hat dieses Selbstverständnis eine lange Tradition: Pflegefachpersonen sehen sich dort zuallererst als Fürsprecher der Patientensicherheit und schreiten ein, wenn sie diese in Gefahr sehen. Damit sind sie in der Regel auch erfolgreich.

Wie sich Schwachstellen in den drei Settings verbessern lassen

In der Klinik sind Medikamente allgegenwärtig, sie machen oft einen großen Teil der Therapie aus, die „Medikamenteneinstellung“ ist sogar ein nicht seltener Einweisungsgrund. Kein Wunder also, dass nach einer Erhebung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft von 2018 die meisten Medikationsfehler im Krankenhaus auftreten.

Vorsicht, wenn mehrere Ärzte verschreiben Gleichzeitig aber gibt es jährlich eine Million Krankenhauseinweisungen wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen, von denen 250.000 auf Medikationsfehler zurückzuführen sind – Medikationsfehler, die in Praxen, im ambulanten Bereich und in der Langzeitpflege passieren. Ein häufiger Grund dafür: Gerade ältere Patienten bekommen häufiger von verschiedenen Ärzten Medikamente verschrieben, ohne dass der eine von der anderen weiß – so kommt es zu Wechselwirkungen, Überdosierungen eines Wirkstoffes etc.

Pflegefachpersonen in der ambulanten Pflege und in der Langzeitpflege können solche Fehler aufdecken und so die Versorgung und Lebensqualität ihrer Patienten verbessern. Deshalb ist Medikamentensicherheit in allen Pflege-Settings ein Thema.

Ambulante Pflege: Beratung ist gefragt

Idealerweise ist die Pflegefachperson in der ambulanten Pflege über die gesamte Medikation ihrer Patienten informiert, auch wenn sich ihr Einsatz auf Verbandwechsel, Anziehen von Thrombosestrümpfe, Insulinspritzen und Ähnliches beschränkt.

Handlungsbedarf gibt es, wenn sie feststellt, dass

  • ein verordnetes Medikament eigentlich kontraindiziert ist oder mit anderen Medikamenten, die der Patient ebenfalls einnimmt, in Wechselwirkung treten kann. Dann sollte sie dafür sorgen, dass der Hausarzt davon erfährt – über den Patienten, ein Familienmitglied oder sie selbst.
  • der Patient häufiger über Müdigkeit, Schwindel oder andere Beschwerden klagt – sie könnten in Zusammenhang mit der Medikation stehen. Auch in diesem Fall gilt es Kontakt mit dem Arzt aufzunehmen.
  • der Patient ein Medikament oder mehrere nicht einnimmt, weil er denkt, er komme ohne sie besser klar. Das könnte möglich sein, sollte aber in jedem Fall abgeklärt werden.
  • der Patient seine Medikamente nicht sachgemäß aufbewahrt oder einnimmt (unregelmäßig, zu viel, zu wenig).

Es hilft auch sehr, wenn die Pflegefachperson den bundeseinheitlichen Medikationsplan empfiehlt (wenn der Patient noch keinen hat). Auf diesen BMP haben alle Patienten seit 2016 ein Anrecht, die mindestens drei verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen. Der Hausarzt stellt den Plan aus, alle weiteren Ärzte ergänzen ihre Verordnungen mit detaillierten Angaben zu Wirkstoff, Dosierung etc. Der BMP kann auf Papier geführt werden oder digital auf der elektronischen Patientenkarte. Der Patient legt den Plan am besten bei jedem Arzt- und Apothekenbesuch vor, aber auch beim Kauf rezeptfreier Medikamente, denn auch diese können Wechselwirkungen haben. Deshalb sollen frei verkäufliche Medikamente ebenfalls im BMP aufgeführt werden.

Langzeitpflege: auf Polypharmazie achten

Auch in der Langzeitpflege gilt es auf mögliche Wechselwirkungen, Überdosierungen etc. zu achten. Nicht selten bekommen Bewohner schlichtweg zu viele Medikamente (Polypharmazie). Ein großes altersmedizinisches Forschungsprojekt namens AMTS-Ampel mit 15 Heimen (1.000 Bewohner), das zwischen 2012 und 2015 von fünf Unikliniken begleitet wurde, hat gezeigt: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAE) können um 39 Prozent reduziert werden, wenn Ärzte Medikamente aufmerksam verschreiben und zum Beispiel auf Wechselwirkungen sowie Nieren- und Leberinsuffizienz und andere medikamentenrelevante Grunderkrankungen achten. In den teilnehmenden Heimen gingen die Stürze um gut ein Drittel zurück, bei der Hälfte der Patienten verbesserte sich der Gesundheitszustand.

Medikamente-Richten an Apotheken delegieren Was die Medikamentensicherheit in Pflegeheimen ebenfalls gefährdet, ist die fehlende Ruhe beim Stellen der Medikamente. Meistens werden sie nachts gerichtet, wenn die Pflegefachperson in ihrer Tätigkeit immer wieder unterbrochen wird. Dr. Irmgard Landgraf, Hausärztin und Beisitzerin beim Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), empfiehlt Heimen deshalb das Richten der Medikamente an die Apotheke zu delegieren, mit der sie ohnehin einen Versorgungsvertrag haben. Wenn die Apotheke das manuelle Neuverpacken von Fertigarzneimitteln übernimmt, erhält jeder Bewohner seine Medikamente fertig portioniert nach Tagen und Tageszeiten in Blistern (siehe Foto Seite 38), nur Tropfen etc. müssen dann noch extra verabreicht werden. Diesen Service gibt es seit rund 20 Jahren, viele Heime nehmen ihn inzwischen in Anspruch. Er hat auch den Vorteil, dass die Apotheken die Medikation auf Wechselwirkungen und unübliche Dosierungen überprüfen.

Verordnungen immer im Blick behalten! Vor Ort gilt es für die Pflegefachpersonen dann nur noch, darauf zu achten, dass es keine Verwechslungen gibt, die Blister unbeschädigt sind und die Medikamentengabe plausibel scheint. Das heißt aber nicht, dass Medikamente kein Thema mehr für die professionell Pflegenden sind. Denn es ist immer noch möglich, dass Bewohner zu viele Wirkstoffe oder zu hoch dosierte Medikamente erhalten. Ein regelmäßiger Blick in die Verordnungen und bei Auffälligkeiten ein Gespräch mit dem Arzt sollten Routine sein.

Krankenhäuser: 8 Tipps, die vor Fehlern schützen

  • Machen Sie sich beim Richten der Medikamente jedes Mal bewusst, dass jetzt Konzentration gefordert ist und Sie genau lesen müssen, was auf dem Etikett oder im Beipackzettel steht. Verlassen Sie sich nicht auf die Farbe des Etiketts oder die Größe der Flasche. „Das klingt zwar trivial, ist aber sehr wichtig“, sagt Dr. Michael Baehr, Leiter der Apotheke im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE).
  • Halten Sie kurz inne, bevor Sie ein Medikament verabreichen. „Stop-Injekt Check“ wird diese simple Methode genannt, für die der Asklepios-Konzern 2021 mit einem Preis des Aktionsbündnisses Patientensicherheit prämiert wurde. „Die Kontrolle ist so wichtig, weil das, was gerichtet ist, nicht immer von dem gegeben wird, der es verabreicht“, erklärt Reiner Heuzeroth, Pflegefachperson und Klinischer Risikomanager im Asklepios-Konzern.
  • „Unmittelbar, wenn ich am Patienten stehe, muss ich mich fragen: Ist das Frau Müller, die genau dieses Medikament bekommen soll – die Spritze muss dafür natürlich eindeutig beschriftet sein.“ Heuzeroth, der auch Beisitzer im Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) ist, glaubt, dass viele Pflegende, denen ein Fehler passiert, schon beim Verabreichen des Medikaments ein unsicheres Gefühl hatten. „In dem Moment selbst aber waren sie getrieben und sagten sich: ‚Wird schon stimmen.‘
  • Sorgen sie für ein ruhiges Umfeld. Im Vinzentius Krankenhaus Landau ist die Pflegefachperson abgeschirmt, etwa durch eine Milchglasfolie und zusätzlich durch den Hinweis: „Medikamente richten ist eine wichtige Aufgabe und erfordert unsere höchste Konzentration.“
  • Gleichen Sie die Medikation immer mit der Original-Anordnung ab. Verzichten Sie im Medikationsprozess darauf, Anordnungen zu übertragen – gerade im Papier-Workflow passieren dabei zu viele Transkriptionsfehler. Auch kann es passieren, dass längst abgesetzte Medikamente weiterhin gegeben und neu angesetzte doch nicht verabreicht werden, weil das Übertragen bzw. Ausstreichen vergessen wurde.
  • Kontrollieren Sie die Medikamente noch einmal, bevor Sie sie dem Patienten geben. Lassen Sie Tabletten, wenn möglich in der Blisterpackung, bis Sie beim Patienten sind.
  • Wenn Sie eine Anordnung nicht lesen können, die Angabe zur Dosierung fehlt oder nicht entzifferbar ist: Fragen Sie nach!
  • Sprechen Sie die Patienten bei der Medikamentengabe mit Vor- und Nachnamen an, kontrollieren Sie alternativ (oder zusätzlich), ob der Name auf dem Identifikationsarmband mit dem auf der Medikamentenschale übereinstimmt.
  • Wiederholen Sie bei mündlichen Anordnungen (wie sie in der Praxis immer wieder vorkommen), den Namen des Patienten, das Medikament und die Dosierung – das Vorgehen kommt aus der Luftfahrt und wird Call-back genannt.

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