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Foto: Claudio Schwarz Purzlbaum / unsplash.com

Corona-Pandemie

„Pflege gehört in alle Krisenstäbe“

Aus der Corona-Pandemie können wir eine Menge lernen, sagt Matthias Moritz, Geschäftsführer der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz. Denn Krisen wie diese benötigen eine bessere Vorbereitung – und vor allem mehr Pflege.

Herr Moritz, hätten wir auf die Corona-Pandemie besser vorbereitet sein können?

Weltweit gab es seit langer, langer Zeit keine Pandemie dieses Ausmaßes. Die Situation hätte uns so oder so vor Herausforderungen gestellt. Trotzdem muss man sagen: Wir waren auf diese Pandemie nicht wirklich gut vorbereitet. Es mangelte gerade im Frühjahr vielerorts an persönlicher Schutzausrüstung und es fehlt qualifiziertes Personal – vor allem jetzt, in der zweiten Welle. Auch waren die Pandemie-, Alarm- und Einsatzpläne in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen in vielen Fällen veraltet oder gar nicht vorhanden.

Woran lag das?

Krisenpläne müssen regelmäßig gepflegt und überarbeitet werden. Das benötigt Personen, die für diese Pläne verantwortlich sind, sogenannte „Kümmerer“. Wenn sich niemand in den Einrichtungen um diese Päne kümmert, dann verkümmert auch das System.

Wie waren Sie als Landespflegekammer in dieser Pandemie gefordert?

Wir haben mit Beginn der Pandemie direkt eine Task Force innerhalb der Kammer gebildet und überlegt: Was sind die dringlichsten Probleme und wie können wir uns einbringen? Mit diesen Ideen sind wir auf das zuständige Ministerium zugegangen – das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie – und haben von da an eng zusammengearbeitet. Das hat von Anfang an sehr gut geklappt, der Kontakt war auch schon vor der Pandemie da. So konnten wir gemeinsam praktikable Lösungsansätze entwickeln.

Wie eng ist die Zusammenarbeit mit dem Ministerium?

Wir stehen in engem und ständigem Austausch mit dem Ministerium, manchmal mehrmals täglich. Jetzt in der zweiten Welle ist die Zusammenarbeit noch enger. Wir bewerten laufend die aktuelle Lage und können so kurzfristig Maßnahmen treffen, die die Versorgung sicherstellen und gleichzeitig die Pflegenden vor Ort nicht überfordern.

Was haben Sie bereits auf den Weg gebracht?

Wir haben schon sehr früh einen Freiwilligenpool aufgebaut, um wirklich alle vorhandenen Personalressourcen in der Krise zu nutzen. Hier können sich Pflegende melden, die zwar im Moment nicht in mehr in der Pflege arbeiten, aber in der Krise aushelfen möchten. Im ersten Lockdown haben sich bereits rund 500 Freiwillige gemeldet. Darüber hinaus haben wir eine Kurzqualifizierung für den Intensivbereich entwickelt, um in einer möglichen Katastrophenlage die Intensivversorgung sicherstellen zu können. Bislang haben rund 2.100 Pflegefachpersonen eine 16-stündige Schulung erhalten, weitere 1.500 werden voraussichtlich in den nächsten Monaten geschult.

Reicht eine Kurzqualifikation denn für einen so anspruchsvollen Bereich?

Ich bin selbst Intensivpfleger und weiß sehr wohl, dass man das für diesen Bereich erforderliche Wissen nicht in zwei Tagen vermitteln kann. Es geht vielmehr darum, examinierte Pflegende so zu qualifizieren, dass sie im Katastrophenfall die Fachkräfte vor Ort besser unterstützen können. Ich spreche deshalb auch meist von qualifizierten Hilfskräften, wenn es um diese Kurzqualifizierung geht.

Wie hoch ist der Unterstützungsbedarf in Kliniken und Pflegeeinrichtungen?

Er ist vor allem dann sehr hoch, wenn es Corona-bedingt zu einem massiven Personalausfall kommt. Wir haben deshalb zusammen mit dem Ministerium eine zentrale Meldestelle für Einrichtungen der Gesundheitsversorgung errichtet, über die diese im Krisenfall offiziell Personal anfordern können. Kann eine Einrichtung die notwendige pflegerische Versorgung nicht mehr aufrechterhalten, hat sie die Möglichkeit, dies zu melden.

Und wie geht es dann weiter?

Die Meldung wird zeitnah durch das Ministerium geprüft. Wenn die Einrichtung alle eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft hat und eine akute Gefährdung der Versorgungssicherheit vorliegt, wird der Einrichtung kurzfristig Personal aus dem Freiwilligenpool zugeteilt. Genauere Informationen gibt es auf unserer Website. Auch haben wir eine Sonderhotline zur Personalanforderung geschaltet, die unter der Telefonnummer 06131/3273850 rund um die Uhr – auch nachts – besetzt ist.

Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Können wir trotzdem schon etwas aus ihr lernen?

Ja, auf jeden Fall. Wir müssen künftig besser auf Pandemien und andere Katastrophen vorbereitet sein. Es können noch ganz andere Dinge auf uns zukommen. Eine Pandemie, wie jetzt mit dem Corona-Virus, wird uns zukünftig sicherlich noch einmal begegnen und dann vielleicht sogar stärker treffen. Deswegen müssen wir die Pflegenden viel stärker in den Katastrophenschutz einbinden. Meine Kolleginnen und Kollegen haben sich in der Krise als verlässlicher Partner gezeigt. Die Pflege muss in Zukunft ihre Erfahrungen und ihre Expertise einbringen können, das heißt: Pflege gehört in die Krisenstäbe und Expertengremien.

Wie kann das aussehen?

Es braucht Krisenstäbe auf allen Ebenen, die in der Prävention und auch in der Krise gemeinsam aktiv sind. Die Pflege muss hier auf allen Ebenen vertreten sein. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass das Thema wirklich ganz oben angesiedelt ist, das heißt, in der Bundespolitik. Es muss aber auch auf Landesebene, Kommunalebene und innerhalb der Einrichtungen vertreten sein. Zivil- und Katastrophenschutz ist ein klassisches Top-Down-Thema. Die Strukturen müssen im Großen vorgegeben sein, damit es im Kleinen funktioniert.

Was ist darüber hinaus wichtig?

Es braucht ausreichend Material und Personal, es braucht eine gute Qualifizierung und es braucht Übung – und zwar außerhalb der Katastrophensituation. Das alles kostet Zeit und Geld. Diese Investitionen können die Einrichtungen nicht alleine stemmen, dafür braucht es Regelungen und Unterstützung vonseiten der Länder. Und es muss klar sein: Wer hat den Hut auf? Die Verantwortlichkeiten und die Kommunikationsstrukturen müssen schon im Vorfeld klar festgelegt sein. Hilfreich ist auch eine gute Vernetzung der Akteure. Ich sage immer gerne: Es schafft sich besser miteinander, wenn man sich kennt.

Wie kann das Thema Katastrophenschutz besser in den Einrichtungen verankert werden?

Sie brauchen Experten. So wie es bei der Hygiene oder beim Medizinproduktegesetz klar benannte Beauftragte gibt, braucht es auch einen Beauftragten für den Katastrophenschutz. Kliniken und Pflegeeinrichtungen müssen solche Schlüsselpositionen aufbauen, sie qualifizieren und mit den notwendigen Kompetenzen ausstatten. Im Krisenfall wissen diese Experten dann genau, was zu tun ist. Sie sind auch dafür zuständig, Alarm- und Einsatzpläne zu erstellen und regelmäßig zu pflegen. Daran hat es im Vorfeld dieser Pandemie in vielen Einrichtungen gemangelt.

Was können wir sonst noch aus der Krise lernen?

Wir müssen die Ressourcen in der Pflege besser nutzen, ihr Wissen und auch ihr Können stärker in die Gesundheitsversorgung einbinden. Das betrifft auch die Themen Delegation und Substitution. Ich bin schon lange der Meinung, dass ein Heilberuf wie die Pflege mit erweiterten Kompetenzen ausgestattet sein sollte. Und dazu braucht es nicht erst eine Krise.

Interview: Brigitte Teigeler

Porträtfoto: privat

Matthias Moritz (Foto) ist Geschäftsführer der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz. Als Fachexperte in regionalen und überregionalen Katastrophenschutzkommissionen und Krisenstäben verfügt er über umfangreiche Erfahrungen zum Katastrophenschutz. Kontakt: Matthias.Moritz@pflegekammer-rlp.de

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