Wer im Gesundheitszentrum Glantal in Meisenheim neu auf einer Station anfängt, mag sich wundern: Dort gibt es zwei Stationsleitungen – eine für das Organisatorische und Disziplinarische, so wie man es kennt, und eine weitere für das Fachliche, die den Titel Pflegeexpertin trägt. Die Pflegeexpertin hat einen Bachelor absolviert, nicht in Pflegemanagement, Pflegepädagogik oder klassischer Pflegewissenschaft, sondern in: Pflege. Das Studium dreht sich um alles, was relevant ist für die praktische Pflege in der Klinik, der stationären Langzeitpflege und der ambulanten Pflege. Doch was genau machen die acht Pflegeexperten? Zunächst: Sie arbeiten einen Großteil der Zeit mit am Patientenbett. Darüber hinaus beantworten sie fachliche Fragen von Teammitgliedern, kümmern sie sich um die Umsetzung von pflegerischen Standards und sorgen dafür, dass diese nicht aus dem Blick geraten, gleichen sie die pflegerische Praxis auf Station mit den neuesten pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen ab, veranstalten sie wöchentlich kurze Updates etwa zu Hilfsmitteln oder Blutentnahme am zentralen Venenkatheter, organisieren sie die Pflegevisite. Außerdem spielen die Pflegeexperten im Zusammenhang mit der Digitalisierung eine wichtige Rolle. „Sie sind durch ihr Studium sehr vertraut mit Assessment, Pflegeprozess und Pflegediagnosen – mit genau den Themen, die die Grundlage für die Leistungserfassung in der elektronischen Patientenakte bilden“, sagt Pflegedirektorin Susanne Kuczkowski.
Dass akademisierte Pflegefachpersonen am Krankenbett arbeiten, ist in Deutschland nicht sehr weit verbreitet. Ernsthaft diskutiert wird es erst seit 2012. Damals hat der Wissenschaftsrat, der Bund und Länder berät, eine Akademisierungsquote von 10 bis 20 Prozent für den Pflegeberuf empfohlen. Die grundständige Bachelor-Pflegeausbildung findet sich deshalb auch im Pflegeberufegesetz von 2020.
Am UK Freiburg beträgt die Quote 3 Prozent Trotzdem kritisieren Pflegekammern und -verbände, dass nur wenige Krankenhäuser (und noch weniger Altenpflegeeinrichtungen) in der Pflege an akademischen Abschlüssen interessiert sind. Klar ist aber auch, dass die Berufsausübung die notwendige fachlich Qualifikation unter Beachtung der aktuellen pflege- und bezugswissenschaftlichen Erkenntnisse braucht – das fordert in Rheinland-Pfalz auch die Berufsordnung der Landespflegekammer (Paragraf 4, Absatz 4). Allerdings: In letzter Zeit sind einige Krankenhäuser hinzugekommen, in denen Pflege-Bachelor ihren fest definierten Platz haben. So bedauert Professor Olaf Scupin von der Ernst-Abbe-Hochschule Jena zwar, dass es in Deutschland keine 100-prozentige Akademisierungsquote für Pflegefachpersonen gibt – so wie etwa in Großbritannien und in den Niederlanden. Doch sind ihm durch die Studiengänge Pflegemanagement und Bachelor Pflege/Pflegeleitung, die er lehrt, eine gute Handvoll Träger mit durchdachten Konzepten für die Integration von Pflege-Bachelor- oder -Master bekannt: das Diakoniekrankenhaus Dresden etwa, die Waldkliniken Eisenberg, die Unikliniken in Münster und Freiburg. Gerade Unikliniken beschäftigen häufig Pflege-Bachelor, doch haben die in Münster und Freiburg eine recht hohe Quote, in Freiburg sind es fast drei Prozent. Letztlich geht es um den richtigen Qualifikationsmix Für seine hohe Akademisierungsquote ist auch das Florence-Nightingale-Krankenhaus der Kaiserswerther Diakonie bekannt: Hier macht sich Pflegedirektor Sebastian Dorgerloh seit über zehn Jahren für die Akademisierung stark. Über zehn Prozent beträgt die Quote, viele lassen auf den Bachelor noch den Master Advanced Nursing Practitioner (oder in Management oder Pädagogik) folgen, drei Promovenden gibt es zurzeit in der Pflege. Das Krankenhaus ist eine von sieben Einrichtungen, die am Förderprogramm „360° Pflege – Qualifikationsmix für Patient:innen – in der Praxis“ der Robert-Bosch-Stiftung teilgenommen haben. Akademisierte Pflegefachpersonen standen im Mittelpunkt. Doch sie wurden nicht isoliert betrachtet, sondern im Zusammenspiel mit den anderen unterschiedlich qualifizierten Pflegenden.
Welche verschiedenen Qualifikationen brauchen Teams in welchen Settings für bestmögliche Pflegequalität? Das ist letztlich die wesentliche Frage, die alle Einrichtungen mit Akademisierungsambitionen in der Pflege umtreibt – vom Gesundheitszentrum Glantal in Meisenheim bis zum Florence-Nightingale-Krankenhaus in Düsseldorf.
Lesen Sie hier die digitale Ausgabe 34 des Magazins der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz: