An das endlose Ankreuzen der Dokumentationsbögen erinnert sich Petra Vilz nur ungern. „Früher hatten wir mindestens 13 Seiten Pflegeanamnese, die wir je Patient ausfüllen mussten. Heute kommen wir auf eine gute DIN-A3-Seite. Und da ist alles Wesentliche drin.“ Vilz ist Qualitätsbeauftragte von drei ambulanten Pflegediensten und einer Tagespflege beim Caritasverband Mainz. Sie hat das Projekt Entbürokratisierung der Pflegedokumentation von 2016 bis 2018 in ihren Einrichtungen begleitet – für sie ein echtes Erfolgsprojekt. Nach der ersten Evaluation des Projekts meldeten viele Pflegende zurück: „So macht Dokumentation ja richtig Spaß!“
Größte Aktion zur Entbürokratisierung
Die Einführung des Strukturmodells war die bislang größte bundespolitische Aktion zur Entbürokratisierung in der Pflege. Das Ziel: weniger Dokumentation und mehr Zeit für die eigentliche Pflege. Entwickelt wurde das Strukturmodell von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis. Es besteht aus vier Elementen oder auch Prozessschritten: 1. Strukturierte Informationssammlung, kurz SIS, 2. Maßnahmenplan, 3. Berichteblatt, 4. Evaluation.
In der Praxis spricht man oft nur von der SIS. „Das ist zwar nicht korrekt, aber die SIS mit der Anamnese und Problemerfassung ist das Herzstück des Strukturmodells“, sagt Meike Sandstede, Referentin für die rund 100 teil- und vollstationären Altenpflegeeinrichtungen der Diakonie in Rheinland- Pfalz. Sie sieht einen großen Vorteil darin, dass der Fokus nun viel stärker auf der Perspektive des pflegebedürftigen Menschen liegt. „Die SIS® beginnt immer mit drei Fragen: „Was bewegt Sie im Augenblick? Was brauchen Sie? Was können wir für Sie tun? Wir sind überzeugt: Diese Fragen sollten alles andere leiten.“
Die Pflegefachpersonen notieren die Antworten der Pflegebedürftigen im Originalton. Danach schätzen sie sie anhand von sieben Themenfeldern fachlich ein und erheben die pflegerelevanten Risiken. Auf der Basis der SIS vereinbaren sie dann mit der Bewohnerin oder dem Bewohner den Maßnahmenplan und legen Evaluationskriterien fest.
Im Berichteblatt werden dann nur noch Abweichungen und tagesaktuelle Ereignisse dokumentiert. Das spart „Schreibaufwand“ und tatsächlich relevante akute Veränderungen lassen sich schneller erkennen.
Über 80 Prozent aller Einrichtungen nutzen die SIS
2015 wurde das Strukturmodell bundesweit eingeführt. Bereits Ende 2017 dokumentierte fast jede zweite Einrichtung in der Langzeitpflege damit. Bis Ende 2020 waren es laut Angabe des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) etwa 80 Prozent aller ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland. Aktuelle Umfragen liegen bei knapp 84 Prozent. Für Rheinland-Pfalz gibt es keine gesonderten Zahlen. Sandstede schätzt, dass mehr als 80 Prozent der Pflegeeinrichtungen der Diakonie das Strukturmodell bereits umgesetzt haben.
Die schnell sichtbaren Vorteile tragen sicherlich zur hohen Akzeptanz bei. „Das Strukturmodell stärkt die Fachlichkeit der Pflegefachpersonen und unterstützt den personzentrierten Ansatz“, sagt Sandstede. „Früher war die Dokumentation vor allem angstgetrieben: Habe ich auch nichts vergessen, was der Medizinische Dienst beanstanden könnte?‘“ Heute mache die Dokumentation wieder Spaß, sorge für eine bessere Kommunikation im Team und erhöhe die Arbeitszufriedenheit.
Diese Erfahrung hat auch die Qualitätsbeauftragte Petra Vilz gemacht. Zu Beginn seien einige Pflegefachpersonen ängstlich und unsicher gewesen, was die neue Dokumentation betraf. „Wir haben alle Pflegefachpersonen geschult und zusätzlich Multiplikatorinnen ausgebildet, die das Team im Alltag bei der Dokumentation unterstützt haben“, sagt Vilz. Mit dieser Begleitung war das Pflegeteam bald vom Nutzen des Strukturmodells überzeugt. „Alles ist kürzer und knapper geworden, aber was wir jetzt erfassen, ist wirklich pflegerelevant und wichtig.“
Digital bringt die Dokumentation noch mehr Spaß
Während des Projekts konnte sowohl handschriftlich als auch auf dem Computer dokumentiert werden. Einige, meist ältere Pflegefachpersonen haben die SIS und den Maßnahmenplan zunächst von Hand ausgefüllt. „Diejenigen, die digital dokumentiert haben, haben aber nach und nach alle im Team von den Vorteilen der digitalen Dokumentation überzeugt“, berichtet die Qualitätsbeauftragte. 2020 wurde in den drei ambulanten Diensten und der Tagespflege eine neue Software eingeführt, die genau auf dem Strukturmodell beruht – mit einer Pflegedokumentation, die für alle Mitarbeitenden auf dem Diensthandy einsehbar und größtenteils ausfüllbar ist, mit empfohlenen Skalen zur Risikoabklärung, Checklisten, der Möglichkeit, den Pflegebericht zu diktieren und vielem mehr. Das habe nochmals vieles verbessert, sagt Vilz. „Jetzt sind wir komplett digital, und die Dokumentation macht noch mehr Spaß!“
Die sieben Themenfelder der SIS
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Mobilität und Beweglichkeit
- Krankheitsbezogene Anforderungen und Belastungen
- Selbstversorgung
- Leben in sozialen Beziehungen
- Wohnen/Häuslichkeit (stationär)
- Haushaltsführung (ambulant)
Lesen Sie hier die digitale Ausgabe 33 des Magazins der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz: