In der Corona-Pandemie gerät leicht aus dem Blick, dass die Grippesaison bevorsteht. Eine mögliche Grippewelle könnte dann auf untrainierte Immunsysteme treffen. Denn in den letzten anderthalb Saisons sind die Grippewellen nahezu komplett ausgefallen. So könnten die neuen Viren „gegebenenfalls schwerere Verläufe verursachen“, warnt Kai Michaelis aus der Geschäftsstelle der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut.
Kampagnen erhöhen Impfquote
Auf das erhöhte Risiko für Pflegepersonal, an einer echten Grippe zu erkranken, weist auch Mathias Umlauf hin. Allerdings hält der Mainzer Facharzt für Anästhesiologie und Arbeitsmedizin nichts davon, die Impfung mit furchteinflößenden Warnungen zu verbinden. Der Mediziner plädiert für Aufklärung und ein niederschwelliges Impfangebot, damit all jene, die sich impfen lassen wollen, dies auch problemlos können. „Das Angebot in den Betrieben könnte zum Beispiel so aussehen: Mittwochs von 14 bis 18 und freitags von 8 bis 12 Uhr kann man beim Betriebsarzt vorbeikommen für die Impfung ohne vorherige Anmeldung.“ Umständliche Anträge und zeitaufwendige Gänge zu Personalabteilung, Hausarzt oder Apotheke sollte es nicht geben.
Auf Aufklärung setzt beispielsweise das auf psychiatrische Erkrankungen spezialisierte Pfalzklinikum mit seinen 14 Standorten. Schon 2020 habe die Impfquote dank einer erweiterten „Pik“-Kampagne verdreifacht werden können, berichtet Melanie Minges von der Unternehmenskommunikation. So habe es etwa „ein Gewinnspiel mit attraktiven Preisen“ gegeben. In diesem Jahr wolle man die Aufklärung noch einmal verstärken mithilfe eines „externen Spezialisten“.
„Geimpfte sind nicht steril“
„Für Covid-19 wissen wir sicher, dass auch Geimpfte die Viren weitergeben können“, erklärt Umlauf, und dabei tückischerweise meist symptomfrei blieben. Auch bei der Grippeimpfung bestehe die Gefahr, trotz Impfung andere anstecken zu können. Grippe-Geimpfte seien vermutlich weniger lange infektiös, aber „nicht steril“, warnt Umlauf. „Das Risiko, Patienten anzustecken und damit größere Ausbreitungsverläufe zu starten, müsste für Geimpfte zwar etwas kleiner sein, aber wie groß oder wie klein sie genau ist, bleibt bei der Grippe vollkommen unklar.“
Damit sei die Grippeschutzimpfung im Wesentlichen „ein Schutz für sich selbst“, betont der Arbeitsmediziner, „damit aber auch Grund genug für Pflegekräfte für eine Impfüberlegung, da diese ein hohes Risiko für eine Infektion haben“.
Info: IMPFEN IN DER APOTHEKE
Die AOK und die Apothekerkammer in Rheinland-Pfalz planen, ihren volljährigen Versicherten in der kommenden Grippesaison auch in Apotheken die Grippeschutzimpfung anzubieten. Dabei handelt sich nach den Worten von AOK-Sprecher Jan Rößler um „ein zusätzliches, niederschwelliges und kostenfreies Angebot“ durch speziell geschultes Personal.
Die Kassenärztliche Vereinigung und die Landesärztekammer kritisieren jedoch, Schutzimpfungen gleich welcher Art einer „direkten ärztlichen Kontrolle“ zu entziehen, das könne für Patienten „gefährlich werden“, warnt KV-Vorstandsvorsitzender Peter Heinz. Arbeitsmediziner Umlauf hält das Modellprojekt hingegen für eine gute Sache. Speziell geschulten Apothekern rettungsdienstliche Fähigkeiten abzusprechen, sei unverständlich. Es sei eben in erster Linie eine gesellschaftliche Frage, ob man jegliches Risiko bezüglich der „sehr, sehr selten auftretenden Impfkomplikationen ausschalten will“ oder ob man ein niederschwelliges Angebot machen möchte, um möglichst viele Menschen zu erreichen.
Autorin: Birgitta vom Lehn
Über die Arbeit der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz lesen Sie mehr im Kammermagazin: