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Marte Meo heißt für Pflegefachpersonen wie für Menschen mit Demenz: weg von den Defiziten, hin zu den Ressourcen.
Foto: Annemieke Gieseke
Marte Meo heißt für Pflegefachpersonen wie für Menschen mit Demenz: weg von den Defiziten, hin zu den Ressourcen.

Demenziell Erkrankte besser verstehen mit Marte Meo

Folgen Sie dem Blick

Der Blick eines Menschen verrät, woran er interessiert ist. Dieser Gedanke liegt der Methode Marte Meo zugrunde, die Pflegefachpersonen dabei hilft, sich auf die Ressourcen eines demenziell erkrankten Menschen zu konzentrieren, sie zu stärken und so positive Veränderungen im Verhalten und in der Kommunikation zu erreichen.

Eine Heimbewohnerin, an Demenz erkrankt und völlig in sich zurückgezogen, liegt in ihrem Bett, ist scheinbar teilnahmslos und wird über eine PEG-Sonde ernährt. Die Heimleitung wendet sich an die Demenzexpertin Karola Becker und holt sie für eine Marte-Meo-Schulung ins Haus. Unter ihrer Begleitung verbessert sich der Zustand der Bewohnerin so weit, dass sie wieder selbstständig isst, trinkt und spricht. Erst jetzt zeigt sich, wie viel Humor die alte Dame hat – was dafür sorgt, dass die Pflegefachpersonen und Alltagsbegleiter ihr Zimmer fortan gern aufsuchen.

„Marte Meo ist leicht zu erlernen, in der Praxis einfach anzuwenden und gerade bei Menschen mit Demenz unglaublich wirksam“, sagt Becker. „Nur leider ist die Methode in der Pflege bisher kaum bekannt – im ambulanten Bereich ebenso wenig wie in der stationären Langzeitbetreuung oder in Krankenhäusern. Obwohl sie gerade in Kliniken auch zur Delirprophylaxe beitragen kann.“ Bereits in den 1970er-Jahren entwickelte die niederländische Pädagogin Maria Aarts die Methode, mit der sie ursprünglich die Beziehung zwischen autistischen Kindern und deren Eltern unterstützen wollte. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „aus eigener Kraft“. Auf dieser Idee beruht das Konzept: sich auf die Ressourcen eines Menschen zu konzentrieren, sie zu stärken und damit positive Veränderungen im Verhalten und in der Kommunikation zu erreichen.

Wie Marte Meo funktioniert Die Methode setzt bei alltäglichen Pflegesituationen an. Konkrete Interaktionen mit den demenziell Erkrankten werden in kurzen Videos aufgezeichnet und anschließend gemeinsam mit den Pflegefachpersonen kleinschrittig analysiert. „Der Fokus liegt dabei ausschließlich auf den gelingenden Momenten. In den Videos lassen sich Ressourcen auf emotionaler, verbaler und auf der Handlungsebene wahrnehmen, die ansonsten oft unbemerkt bleiben“, erklärt Becker. „Selbst kleinste Bedürfnisse und Initiativen der Menschen mit Demenz werden festgehalten. So offenbaren sich Anschlussmomente, auf die in der Pflege eingegangen werden kann.“ Die Pflegefachpersonen werden mithilfe der Bilder geschult, die individuellen Fähigkeiten eines Menschen mit Demenz auch im Alltag zu erkennen – und sie zu nutzen.

Obschon es oft nur um Sekundensequenzen gehe, komme es bei der Analyse reihenweise zu Aha-Erlebnissen, so Becker. Und das mit Blick nicht nur auf die Pflegebedürftigen, sondern auch auf die Pflegefachpersonen selbst. Denn viele setzen zwar bereits unterstützendes Verhalten ein, sind sich dessen aber gar nicht bewusst. „Sie sehen nicht, was sie tatsächlich bewirken. Eine Marte-Meo-Schulung kann ihnen Vertrauen in das eigene Handeln geben, macht sie sicherer und gelassener im Umgang mit Menschen mit Demenz. Durch die Prozessbegleitung wird Stress abgebaut, die Teamkommunikation verbessert und Resilienz gefördert.“ Niemand müsse sich sorgen, vorgeführt zu werden. Stattdessen ermutigt der Trainer die Pflegefachpersonen, voneinander zu lernen und positive Verhaltensweisen sowie Kommunikationsmuster beizubehalten und weiterzuentwickeln.

Geben Sie Orientierung: Sagen Sie genau, was Sie tun Marte Meo heißt für Pflegefachpersonen wie für Menschen mit Demenz: weg von den Defiziten, hin zu den Ressourcen. Denn so erleben beide Seiten im Kontakt eine höhere Selbstwirksamkeit. Die Pflegefachpersonen lernen, ihre Beobachtungsgabe zu schärfen und Mimik, Gestik und Körperhaltung des Betroffenen zu lesen. Indem sie unterstützend handeln, vermeiden sie unter anderem potenzielle Auslöser für herausforderndes Verhalten. Die demenziell Erkrankten können teilhaben und kooperieren – und entlasten somit wiederum die Pflegefachpersonen. Zu den grundlegenden Marte-Meo-Elementen gehören: Blickkontakt und das freundliche Gesicht: Beides vermittelt Vertrauen; der demenziell Erkrankte fühlt sich zugehörig statt bedroht oder überrannt. Gute Anschlussmomente: Sie entstehen durch das Wahrnehmen und Benennen auch kleinster Initiativen. Die Pflegefachperson folgt dem Aufmerksamkeitsfokus des demenziell Erkrankten – er hört die Worte für sein Tun und spürt, dass das Gegenüber interessiert an ihm ist. Positiv leiten und fehlerfreundlich sein: Menschen mit Demenz wissen nicht, was mit ihnen in einer Pflegesituation geschieht oder was von ihnen erwartet wird. Daher ist es wichtig, Schritt für Schritt zu benennen, was sie selbst beitragen können – und zugewandt auf ihre Reaktion zu warten. Pflegefachpersonen dürfen sich diesen Moment gönnen; indem sie das Tempo verringern, statt zu fordern, geht es letztlich sogar schneller, weil der demenziell Erkrankte mehr versteht und mitarbeiten kann. Eigene Handlungen kleinschrittig benennen: Für den anderen vorhersehbar zu sein, gibt Halt und Orientierung. Auch hier geht es darum, die innere Welt für den Menschen mit Demenz sicher und die äußere Welt verstehbar zu machen.

„Marte Meo stellt letztlich eine Haltungsschulung dar. Die Wirksamkeit ist neurobiologisch bewiesen und geht mit dem Prinzip einher, dass nur Anerkennung zu einer Weiterentwicklung führt“, sagt Karola Becker, die auch Mitglied der Alzheimer-Gesellschaft Rheinland-Pfalz ist. „Mehr als jedes andere Verfahren fördert die Methode eine individuelle Begleitung von demenziell Erkrankten. Mit Marte Meo können wir in der Praxis eine echte personenzentrierte Beziehungspflege umsetzen, Menschen mit Demenz wieder ins Leben holen und gleichzeitig die Pflegefachpersonen stärken.“

Lesen Sie hier die digitale Ausgabe 34 des Magazins der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz:

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