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Interview mit DPR-Vizepräsidentin

„Ehrenpflegas zieht den Pflegeberuf ins Absurde“

Das Familienministerium wirbt mit seiner Mini-Serie „Ehrenpflegas“ für den Pflegeberuf. Eine volle Bauchlandung, so das fast einstimmige Echo aus der Branche. In der Kampagne äußere sich die altbekannte Ignoranz der Politik, meint die Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats.

Worum es in der Serie „Ehrenpflegas“ geht? Wer es noch nicht weiß, kann sie auf dem You-Tube-Kanal anschauen (dauert nur 30 Minuten) - oder eine der vielen Rezensionen und Kommentare in den Publikumsmedien lesen: Von Focus online bis zur taz haben fast alle berichtet. Hier in aller Kürze: Die Serie ist prominent besetzt mit den Netflix-Schauspielern Lena Klenke, Danilo Kamperidis und Lisa Vicari. Es geht um einen jungen Mann namens Boris, der davon träumt, einen E-Zigarettenladen zu eröffnen, und große Probleme hat, Formulierungen wie „generalistische Pflegeausbildung“ fließend zu lesen. Er landet in einer Pflegeschule mit dem Plan, die Ausbildungsvergütung abzugreifen und nach der Probezeit die Biege zu machen - ganz so wie er es schon fünfmal praktiziert hat, unter anderem als KfZ-Lehrling. Er tölpelt also durch die Probezeit, verliebt sich in eine schöne Kurskollegin, die er aus Schulzeiten kennt. Am Ende wird er zu einem ernsthafteren Menschen und bleibt wider Erwarten über die Probezeit hinaus. Erzählt wird das Ganze im Stil des deutschen Kassenschlagers „Fack ju Göhte“.

Über die Serie sprachen wir mit der Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR) Christine Vogler. Sie kennt sich gut aus mit dem (potenziellen) Pflege-Nachwuchs, an den sich die Serie richtet: Seit Jahresbeginn ist die Pflegepädagogin Geschäftsführerin eines der größten deutschen Bildungsinstitute für Gesundheitsberufe: nämlich des Berliner Bildungscampus für Gesundheitsberufe gGmbH, das die Charité zusammen mit dem kommunalen Klinikkonzern Vivantes betreibt. Außerdem ist Christine Vogler stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbands Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe (BLGS). Das Foto oben ist ihr neues Facebook-Profilbild.

pflegen-online: Die Serie ist bei den Pflegekammern und Verbänden schlecht angekommen. Wie ist die Reaktion der Auszubildenden? Sie gehören immerhin zur Altersgruppe, an die sich die Serie wendet.

Christine Vogler: Obwohl ich gar nicht mehr häufig in direktem Kontakt mit den Klassen bin, haben mich Schüler angesprochen und mich gebeten, ihre Empörung an Pflegeverbände und Politik weiterzuleiten. Ich bin tatsächlich entsetzt darüber, wie das Familienministerium mit dieser Kampagne alle vor den Kopf stößt, die diesen Beruf gerade lernen oder schon erlernt haben. Die Auszubildenden an unserem Campus vertreten hohe ethische Werte, sie wollen lernen und müssen das auch, weil es unglaublich viel Stoff zu bewältigen gibt. Das alles transportiert diese Miniserie absolut nicht.

In dem Film wird der Eindruck vermittelt, jeder könne in den Pflegeberuf reinstolpern, egal welche Voraussetzungen er hat. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man auf die Idee kommen kann, auf diese Weise Werbung für einen Beruf zu machen. Das Familienministerium bewirbt einen Beruf, indem sie ihn ins Absurde zieht und komplett die Kompetenzen und das Berufsethos derjenigen ignoriert, die in der Pflege arbeiten – das ist grotesk.

Wie kann man es besser machen?

Von der Handwerkskammer gab es mal einen Kampagnenfilm, in dem zunächst ganz normale Alltagszenen zu sehen sind – dann aber: Häuser, die in sich zusammenfallen, Autos, die sich auflösen. Die Message ist natürlich, dass es ohne Handwerk nicht geht. Das Ganze war total beeindruckend gemacht und richtig cool. Mit so einem Film holt man jede Generation ab, auch alle, die nicht mehr in jugendlichem Alter sind. Das ist ein wichtiger Aspekt, gerade für Pflegekampagnen, denn es gibt viele Quereinsteiger in unserer Branche. Und übrigens - Eltern sind maßgeblich beteiligt an der Berufswahl der eigenen Kinder!

Im Übrigen darf man das grundsätzliche Anliegen einer Kampagne nicht aus den Augen verlieren: Es geht darum, einen Beruf attraktiv darzustellen – das erwartet auch der Zuschauer. Deshalb ist für eine Kampagne die Methodik die für Kinofilme taugt, eben hier satirische Überzeichnung, ungeeignet. Das wird falsch verstanden.

Wie kommt es eigentlich, dass die Pflegeausbildung immer anspruchsvoller wird, das Image des Berufs aber eher abgenommen hat über die vergangenen Jahre? Manche Aussage in den Publikumsmedien versetzt einem ja geradezu eine Stich – in der Tageszeitung taz hieß es in einem Kommentar zur Ehrenpflegas, man dürfe bei aller Kritik der Verbände nicht vergessen, dass der Pflegeberuf nun mal nicht sehr angesehen sei und kein Normalsterblicher ihn ergreifen wolle …

Die Politik reagiert seit Jahren auf den Fachkräftemangel in der Pflege nach der Methode Abwärtsspirale. Das begann 2009, als das Bundesgesundheitsministerium die Zugangsvoraussetzungen absenkte, und hat sich seither fortgesetzt – etwa mit der Idee, arbeitslose Schlecker-Beschäftigte für die Pflege zu gewinnen. Absoluter Tiefpunkt – und hoffentlich Endpunkt – ist jetzt diese Kampagne Ehrenpflegas.

Doch die Methode Abwärtsspirale rächt sich: Sie raubt dem Beruf Ansehen und führt nicht zum Erfolg. Es wird Zeit, dass Politiker das endlich begreifen. Gute Bewerber gewinnt man nur, indem man die Profession stolz und anspruchsvoll darstellt.

Das bedeutet nicht, dass jeder die Ausbildung mit stolzgeschwellter Brust beginnen muss. Aber es ist ein Fehler, mit einer Kampagne ausgerechnet diejenigen anzusprechen, die ganz offenbar der Verantwortung und der Tiefe des Pflegeberufs nicht gewachsen sind. Ich brauche für die Pflege eine Grundsubstanz an sozialen und vor allem auch an kognitiven Fähigkeiten, die in dieser Serie schlicht nicht dargestellt werden. Wir möchten doch nicht Auszubildende anwerben, die sich für unseren Beruf nur interessieren, weil die Ausbildungsvergütung so exzellent ist, dass man sich – wie in der Serie dargestellt – ein Cabrio leisten kann.

Müssten die Berufsverbände aber nicht ein wenig raus aus ihrem Grau? Wenn diese in ihren Pressemitteilungen und Statements immer nur die Missstände beklagen und um Wertschätzung bitten, macht das den Pflegeberuf nicht gerade attraktiv …

Ich bin Mitglied in diversen Verbänden und lebe mit dem Spagat: Wir müssen Missstände ansprechen, aber natürlich lieben wir unseren Beruf. Gerade weil wir ihn als etwas Besonderes empfinden, engagieren wir uns. In den Pflegeverbänden gibt es nur sehr wenige Hauptamtliche, die meisten arbeiten ehrenamtlich und treiben unterschiedliche Themen in Projekt- und Arbeitsgruppen voran.

Die Frage ist ja: Wer sollte die Missstände in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen benennen, wenn nicht die Pflegenden selbst? Wenn wir in den Verbänden immer nur betonen würden, wie schön der Beruf ist, spräche das nicht für besonderes Engagement. Dann bräuchten wir keinen Verband. Und es ist ohnehin nicht so, als klagten wir nur, wir beraten unsere Mitglieder auch individuell und stärken ihnen den Rücken, damit sie die Situation an ihrem Arbeitsplatz für sich - und oft auch für die Kollegen und Patienten – verbessern können.

Interview: Kirsten Gaede

[Das Interview erschien zuerst auf pflegen-online]

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