„Wir müssen uns Gedanken über Anpassungsstrategien machen, denn Hitzewellen im Sommer werden weiter zunehmen“, mahnt Julia Schoierer, die sich am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Klinikums der Universität München mit dem Klimawandel beschäftigt. Schoierer und ihre Kolleginnen haben einen Leitfaden für Pflegeeinrichtungen erarbeitet, der erst vor wenigen Tagen erschienen ist. Praxisnah und zum Nachmachen. Ein Update mit Broschüren und Flyern, die sich ergänzend mit Hitzeschutzmaßnahmen in Zeiten der Corona-Pandemie beschäftigen, erscheint Mitte Juli. Die Wissenschaftler geben Tipps für die stationäre und ambulante Pflege sowie für Pflegebedürftige und Risikopatienten.

Hier können Sie den Leitfaden für Pflegeinrichtungen herunterladen
Hessen mit Hitzemaßnahmenplan
Derartige Hitzeaktionspläne fordert auch Yvonne Bovermann, Präsidiumsmitglied des Deutschen Pflegerats. In Hessen gibt es einen solchen Hitzemaßnahmenplan bereits seit mehr als zehn Jahren, und die Heimaufsicht überprüft stichprobenartig, ob er eingehalten wird.
Ideal: außen liegende Jalousien
Die Arbeitgeber müssen bei Hitze gegensteuern und ihren Mitarbeitern an heißen Tagen kostenlos Wasser zur Verfügung stellen. Auch gratis Eis zu verteilen, ist sinnvoll. Zudem werden unterschiedliche Möglichkeiten wie idealerweise außen liegende Jalousien oder Plissees genutzt, um Räume zu verschatten. Im AWO Seniorenhaus am Rosengarten in Zweibrücken etwa sorgt Sonnenschutzfolie an den Fenstern, kombiniert mit Verdunklungsvorhängen, dafür, dass die Wärme draußen bleibt. Die Folien hat Einrichtungsleiterin Andrea Schantz auch in den Dienstzimmern anbringen lassen.
Ventilator beliebter als Klimaanlage
Die Capio Mosel-Eifel-Klinik hat rund 70 Ventilatoren angeschafft. „In klimatisierten Räumen dagegen wollen viele Beschäftigte nicht arbeiten“, sagt Verwaltungsdirektorin Petra Hager-Häusler. Zudem sind die Anlagen mit Blick auf ihre Umweltfolgen durchaus fragwürdig. Gelüftet wird, wenn irgendwie möglich, nur noch nachts oder in den Morgenstunden, tagsüber bleiben die Fenster geschlossen.
Spaßig und kühlend: Planschbecken
Für die Alltagsaktivitäten der Bewohner gilt der Schongang. „Körperlich anstrengende Sachen wie Gymnastik lassen wir ausfallen“, sagt Valeska Doll, die als Altentherapeutin und Betreuungsassistentin im Marienstift München arbeitet. Stattdessen bauen sie im schattigen Garten zwei Kinderplanschbecken auf, stellen Stühle drum herum, und alle können ihre Füße darin baden. „Dabei wird viel gelacht“, erinnert sich Valeska Doll. Für den kommenden Corona-Sommer heißt es dann zwar Abstand halten, aber: „Alles, was es den Bewohnern erleichtert, kommt uns ebenfalls zugute.“ Dazu gehört auch ein Sommer-Speiseplan mit kalten Suppen und Wassermelonen. Zudem wird die Arbeit so strukturiert, dass alles, was nicht wirklich existenziell wichtig ist, verschoben wird.
Beliebt sei es auch, Außenbereiche umzugestalten, sagt Julia Schoierer. An kleinen Teichen, Wasserspielen oder Brunnen können sich die Bewohner abkühlen. Überhaupt sollten immer mehrere Maßnahmen zusammenspielen, um die Lage für alle erträglicher zu machen. Dazu zähle auch atmungsaktive Arbeitskleidung für die Pflegekräfte.
WHO: Raum mit weniger als 25 Grad schaffen
Die Weltgesundheitsorganisation rät Heimen zudem, mindestens einen Raum mit weniger als 25 Grad zu schaffen und die Bewohner täglich für mehrere Stunden dorthin zu bringen.
Manch Klient braucht ein klares Nein
Genauso brauche das Personal längere Abkühlungsphasen, betont Henny Annette Grewe, Professorin für Medizinische Grundlagen am Fachbereich „Pflege und Gesundheit“ der Hochschule Fulda. Dafür, dass Hitze lebensbedrohlich ist, fehle häufig noch immer das Bewusstsein. Vor allem bei der Gebäudesanierung sieht Grewe „ganz viel Luft nach oben“. Neben der Außenverschattung, auch durch Bäume, denkt sie mittelfristig an energetische Maßnahmen, Dämmung und passive Kühlung. „Langfristig müssen Hitzefragen aber bei Neubauten von vornherein mitgedacht werden, und die Städte müssen kühler werden.“
Im Alltag helfe bis dahin meist der gesunde Menschenverstand, betont Stefan Kuhn, stellvertretender Leiter der Bezirksstelle Mainz der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Die Arbeitgeber hätten schließlich eine Fürsorgepflicht für ihre Pflegekräfte. Viele Maßnahmen seien schlicht eine Frage des guten Willens und nicht nur des Geldes.

Und manchmal sei auch ein klares Nein nötig – etwa wenn ambulante Pflegedienste in Wohnungen kommen, in denen das Pflegebett der Sonne direkt ausgesetzt ist und Bewohner oder Angehörige trotzdem nichts verändern wollen, erklärt Kuhn: „Hier muss man den Kunden klarmachen, dass ein sicheres und gesundes Arbeiten so nicht möglich ist, und Lösungen anbieten – zur Not ein mobiles Klimagerät.“
Autor: Jens Kohrs
Eine Gesamtansicht der Printausgabe des Magazins der Pflegekammer Rheinland-Pfalz Ausgabe 20 bieten wir Ihnen gleich hier unten. Wenn Sie noch weiter runterscrollen, finden Sie ein pdf des Artikels „Hitze und Corona“ zum Herunterladen.